Guten Morgen
Vielleicht haben alle Lebewesen eine Seele. Wahrscheinlich schon. Denn die Seele ist diejenige, die fühlt. Nicht immer ist es sinnvoll, sich von seinen Gefühlen überwältigen zu lassen. Gefühle können töten, einen anderen, oder auch dich selbst. Aber manchmal kann man sich gegen diese übermächtigen Ausbrüche kaum wehren. Und dann ist es vielleicht nur noch der eine Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Alles gerät aus den Fugen, es wird heikel, gefährlich, für den anderen, oder auch für dich. Polizisten müssen geschult werden, damit sie mit Psychose-Erkrankten im akuten Zustand sensibel umgehen können. Im besten Fall bauen sie Vertrauen zu dem Erkrankten auf und versuchen, nicht mit der Brechstange seine Gedanken zu zerschlagen. Er oder sie könnten zurück schlagen. Die Brechstange der Polizisten ist immer härter. So viele Psychotiker haben schon von Bullen auf die Fresse gekriegt. In den 90er Jahren haben auch die Pfleger noch regelmäßig zugeschlagen, wenn du die Medikamente verweigert hast und aggressisv warst. Ich war oft dabei. In der Nacht wurdest du angeschrien, wenn du nicht schlafen konntest und rumgewandelt bist. Sie haben dir die Zigarette verboten, dir Angst gemacht, sich über dich amüsiert, ernst genommen schon mal gar nicht – schließlich bist du verrückt, bescheuert geworden. Auch heute noch findet in den Kliniken vieles nicht auf Augenhöhe statt – auf den Geschlossenen ist es noch immer schlimm und geht zum Teil brutal zu. Es gibt viele Patienten, die ihr Lebenlang ein Trauma davontragen und sich eher umbringen, als noch einmal in die Psychiatrie zu gehen. Mein längster Aufenthalt auf der Geschlossenen waren zweieinhalb Monate. Viel zu wenige Ärzte sind dort tätig, und meistens gibt es nur einen Therapeut/In für mehrere Stationen, über einen Sinn, die die Psychose haben könnte, wird kein Wort verloren. Da kann ich aber von mir behaupten: Jedes Psychose macht Sinn. Es muss gar kein tiefer spiritueller Sinn sein. Aber du hast die Psychose bekommen, damit du bis zu deinem Lebensende über Themen nachdenken kannst, die dem „Nicht-Psychotiker“ in jedem Fall verschlossen bleiben. Osho sagt, bist du nie geschwommen, wirst du niemals wissen, wie es ist. Warst du niemals manisch, depressiv, schizophren, hast du nie erfahren, wie sich das anfühlt. Bist du taub, kennst du keine Stimmen. Ich sehe es als eine Aufgabe von mir, Menschen, die psychotische Erfahrungen nie gemacht haben, teilhaben zu lassen – zum Beispiel Polizisten, Psychologen, Psychiater, Angehörige usw. Ich schätze, es gibt nicht mehr als zwanzig bis dreißig authentische Bücher Betroffener, die lesenswert sind. Die zu düster sind. Zu verworren wohl auch. Ohne Humor meistens natürlich. Dabei passieren oft ganz wahnwitzige Dinge. Und wenn man es versteht, Teile dieser verrückten, oft peinlichen Situationen in Ironie zu verpacken, können wirklich lustige Geschichten daraus entstehen. Mein Credo ist es seit meiner ersten Psychose, eine ganze Menge Aktionen mit Humor zu betrachten. Dies gelingt nicht jedem – kann es einfach nicht – weil die Krankheit leider oft ganz grausam ist und ein ganzes Leben vernichten kann. Hast du einmal eine schizophrene Phase durchlebt, wird sie dich immer begleiten. Du wirst dich immer mal wieder zurückerinnern, wie an einen besonderen Urlaub. Wenn du das Ganze mit Abstand betrachten kannst, eben wie einen besonderen Urlaub, bist du auf einem guten Weg, fatal ist es, wenn du dich noch einmal zu intensiv in jene mächtige Gefühls- und Gedankenwelt hineinsteigerst. Medikamente können schützen. Ein stabiles, verlässliches Umfeld kann schüten. Struktur. Therapie bei dem oder der richtigen Therapeutin. Glaube. Vielleicht an einen Gott – aber auf jeden Fall an dich selbst. Sei kreativ.
So, das Wochenende steht an. Es soll heiß werden – bis zu 30 Grad. Macht was Schönes, fahrt Fahrrad, geht Schwimmen, grillt oder lasst andersweitig eure Seele baumeln. Es ist Wochenende – lasst die Pflichten Pflichten sein, macht euch frei …