Bestimm selbst, wem du glaubst

Mein guter Freund Ralf kommt mich übers Wochenende besuchen. Ralf lebt seit, ich glaube, seit zehn Jahren, in einem Auto. In einem alten Benz, also in einem Bus, 308 oder sowas. Besser gesagt, hatte er schon diverse davon. Er kauft sich einen, möglichst günstig, baut ihn aus, lebt darin für eine gewisse Zeit, reist durch Europa, verkauft ihn wieder, kauft sich von dem Gewinn eine neue alte Karre, baut sie aus und um und so weiter. Ralf hatte eine Goldschmiede, ein kleines Ladengeschäft mit Werkstatt, in einer wunderschönen Stadt. Das Geschäft lief gut, es hätte so weitergehen können. Aber nicht mit ihm. Aus. Schluss. Unglücklich. Schnauze voll von Gold und Diamanten. Er hat unsere Trauringe geschmiedet. Um den Hals trage ich eine Kette, die er mir aus einer Münze gefertigt hat. Er steht in Fußgängerzonen und auf Kunsthandwerkermärkten und bietet seine ausgeschnittenen Münzen an. Nun ist er also Münzschneider. Er wird mir erzählen, was er in den letzten vier oder fünf Jahren getan hat, wo er überall gewesen ist, so lange haben wir uns nicht gesehen. Ist er nachher hier, ist es, als sei er nie weggewesen – wir haben uns nie entfremdet. Die letzten vier oder fünf Jahre haben wir nichts voneinander gehört, er rief an, es war wie immer. „Ich wollte dich besuchen.“ „Klar, komm vorbei.“ Er hat auch schon ein paar Wochen im Stück bei uns verbracht. Aber dieses Mal will er schon am Sonntag nach Frankreich aufbrechen. Wir werden Whisky trinken (wenn er noch trinkt), Zigarren rauchen (falls er noch raucht), Steaks essen (falls er noch kein Vegetarier ist) und vor allem viel viel reden. Wir haben uns vor über vierzehn Jahren auf einem Kunsthandwerkermarkt kennengelernt, als ich noch mit meinen Buchbindearbeiten und Gedichtbänden kreuz und quer unterwegs gewesen bin. Sind ins Gespräch gekommen, habe ihn gefragt, ob er schon wüsste, wo er schläft. „Im Auto.“ „Ach quatsch, komm mit zu uns.“ Hat er getan. Das ging oft so auf diesen Märkten, man kam sich schnell näher, wenn der erste Blick gestimmt hat. Der erste Blick ist entscheidend dafür, wie es weitergeht. In zwei Stunden, um 14 Uhr, trudelt Ralf hier ein in seinem 308 – Diesel, vielleicht bunt, vielleicht schwarz, oder grün? Oder kommt er mit seinem Motorrad, das er kurz erwähnt hat? Ich bin gespannt. Ich bin entspannt seit gestern, seitdem mein Psychiater mit mir gesprochen und mich beruhigt hat. „Manchmal, Herr Taube, geht es zwei Schritte vor, und dann wieder einen zurück. Bleiben Sie ruhig, erhöhen Sie die Medikamente erst einmal nicht. Warten Sie ab …“ So ewas habe ich ehrlich gesagt noch nie von einem Psychiater gehört. Ich war ja erst dreimal bei ihm, gestern hat er mich angerufen, das hat auch noch kein anderer Psychiater getan. Ich habe das gute Gefühl, auf Augenhöhe behandelt zu werden. So verhält es sich auch mit meiner Therapeutin, die ich seit neun Jahren aufsuche. Eine Freundschaft kann auch nur auf Augenhöhe funkionieren. Wenn es einen gibt, der dir immer sagt, wie du was machen sollst oder musst, verabschiede dich von ihm. Auch wenn er es nur gut meint. Es ist nicht verkehrt, sich Ideen und Ratschläge anzuhören, aber wenn dieser andere anfängt überheblich zu werden, verpass ihm einen Arschtritt. Versuch, nie einen Freund bloßzustellen – ich habs getan – jetzt ist er aus meinem Leben verschwunden. Und die Person, vor der ich ihn bloßgestellt habe, ebenfalls. Schade eigentlich – mehr um den Freund. Es gibt einige Dinge, die kann man im Leben nicht mehr gutmachen, das Ding ist versiebt, bis zum Tod. Auch wenn du dich entschuldigt hast. Ich komme nur schwer mit nachtragenden Menschen zurecht, ein paar Worte – und zack – könnte so vieles aus der Welt geschafft sein. Wenn man natürlich zehnmal sagt, dies oder das möchte ich nicht, bitte lass das – und das Arschloch tyrannisiert dich weiter – musst du wahrscheinlich, auch wenn du es im Herzen nicht möchtest – konsequent sein. Mit manchen Menschen kommt man eben irgendwann nicht mehr klar – oft aus einer politischen Haltung und Einstellung heraus. Es sind ja nicht gerade wenige, die früher Punk und linkspolitisch gerichtete Musik gehört haben, die sich jetzt aber von Rechtspopulisten beeinflussen lassen und alles glauben, was die Idioten posten. Menschen, die Panik vor allem möglich haben, sind besonders ansprechbar und zu manipulieren. Psychisch labile Menschen werden gezielt zu Hörigen umfunkioniert. Nicht nur von der Politik, auch von allen Sekten. Was man nun als Sekte bezeichnet oder nicht, bleibt jedem selbst überlassen, es sei denn, du bist schon zum Opfer geworden, dann hast du nämlich deinen freien Willen abgegeben. Die Freiheit, selbst bestimmen zu können. Du kannst doch selbst bestimmen. Wen du wählst auf jeden Fall. Wem du glaubst. Sei froh, dass du hier bist.

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