Das Wetter ist nicht sehr berauschend. Wind und Regen, ziemlich grau und trüb. Ganz anders als ich mich fühle. Ich fühle mich ziemlich klar, bin aber auch ziemlich im Arsch – kaputt, ausgelaugt. Jedenfalls nachmittags, am Abend wache ich dann wieder auf. Breche die Abende ab, obwohl ich gern noch aufbleiben würde. In der Nacht passiert viel, es geschehen ganz andere Dinge als am Tag. Die Kneipen sind voll, die Gespräche verlaufen in andere Richtungen, es wird mehr getrunken und gelacht. Es wird geflirtet. Feierabend – man kann den verdammten Tag hinter sich lassen, den miesen Chef vergessen, die Kollegen … Man vergisst den Alltag für eine kurze Zeit. Und das muss auch sein. Viele benutzen den Fernseher, andere machen Sport, wieder welche genehmigen sich nen Joint, ne Cigar, oder ein paar Gläser. Schlimm ist es, wenn man morgens mit schlechter Laune aufsteht und schon um sechs angekotzt ist vom Tag, von der Arbeit, von den Kollegen, von der ganzen Scheiße, zu der man sich zwingen lässt – oft zwingen lassen muss -, weil man nicht mehr vom Weg abgeht. Wahrscheinlich nicht mehr abgehen kann – glaubt man zumindest. Zu viel Risiko. Schulden. Raten. Die Familie muss ernährt werden. Ich rate jedem Jugendlichen, sich genau zu überlegen, was er beruflich anstellen will. Lieber ein paar Wochen und Monate drüber schlafen, als sich für einen Job zu entscheiden, der einem das ganze Leben versaut. Bist du da einmal drin, ist es schwer, wieder rauszukommen. Umso älter du bist, desto tiefer hängst du im Sumpf. Und wenn du dann endlich Rente beziehst, stirbst du bald. Das ganze Leben war ein einziger Scheißhaufen, ein Griff ins Klo. Deswegen nutz die Chance hier in Deutschland, dir stehen unendlich viele Möglichkeiten zur Verfügung. Das ist in den meistens Ländern anders, da herrscht Armut, da hat man keine Wahl, es gibt zu wenig Schulen und Leher. Du wirst schon als Kind gedrillt und verbogen, damit du auch ein paar Kröten nach Hause bringst. Kinder werden als Sklaven verschachert für ein paar Mark. Mit fünf, sechs Jahren. Das muss den Eltern doch eigentlich das Herz zerreißen. Es gibt Sachen, die kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich lebe ja auch im reichen Deutschland, wo es Krankenhäuser, Ärzte, Psychiatrien, Medikamente für alle gibt. Und Schulen. Und natürlich Wohnungen und Häuser, Essen und Trinken. Du kannst dir einen Hund, eine Katze, einen Vogel zur Belustigung anschaffen. Du kannst deinem Hobby nachgehen. Also hör auf zu meckern. Du hättest ein genauso beschissenes Leben, wenn keine Ausländer hier wären. Es liegt nicht an den Flüchtlingen, du bist es selbst. Aber hassen gehört wie lieben zum Leben, das weiß ich auch. Es tut gut, deinen Hass auf andere zu projizieren, gerade in der Gemeinschaft, man stachelt sich an, bekommt recht, ist zu vielen. Gemeinsam ist man stark. Man fühlt sich nicht nur so, man ist es. In der Liebe ist man gemeinsam aber auch viel stärker, kraftvoller, überzeugender. Ein Kind, das keine Liebe erfährt, hat es später verdammt schwer. Es kennt das ja vielleicht gar nicht – in den Arm genommen zu werden. Trost. Zuneigung. Zeit. Zärtlichkeit. Darauf kommt es aber an, diese wundervollen Tugenden musst du deinem Kind mit auf den Weg geben. Deswegen kannst du trotzdem „Scheiße“ und „Fuck“ und andere Schimpfworte von dir geben. Das ist erlaubt. Weil du es auch oft genug denkst. Pass aber auf, dass du damit bei dir bleibst, dass du anderen Menschen, gerade Kindern und Frauen, keine Angst machst. Sie werden es dir kaum verzeihen können, wenn du verbal brutal zu ihnen bist. Vergessen tun sie es schon mal gar nicht. Dann begib dich lieber in Therapie, fang an, dich zu reflektieren. Guck, was und wie du dich ändern kannst. Du hast nämlich das Problem, nicht dein Gegenüber. Du bist der Aggressive. Also säufst du, gehst in deine Qulique, zu deinem Stammtisch, säufst noch mehr und holst dir Bestätigung. Du brauchst das. Fühlst dich besser. Sei dir nie zu sicher. Achte auf deine Frau, auf dein Kind, auf deine ganze Familie. Geh nicht blind durchs Leben, vergiss dein Ego öfter mal. Es dreht sich nicht alles um dich. Du bist nicht mehr wert als irgendwer anders. Jeder hat das Recht, auf ein friedliches, ruhiges Leben, keiner hat das Recht, jemanden zu bedrohen. Du störst nur. Erntest Hass. Dein eigenes Kind, deine Frau, deine Familie wird einen Bogen um dich machen. Distanz baut sich auf. Es sei denn, die Alte ist genauso behämmert wie du selbst. Säuft sich mit dir zusammen zu, lässt ihren Frust und ihre Wut raus, das Leidtragende ist immer das Kind. Immer. Ich wünsche jedem, dass er die Erfahrung als Vater oder Mutter machen darf, aber dann bleib fair, und denk immer daran, dass dein Kind eines Tages auf eigenen Füßen steht, sich behaupten muss, sich durchzuschlagen hat in diesem Überlebensdschungel. Schenk ihm Vertrauen und Selbstbewusstsein, drill und dressier es nicht, lass ihm seine Meinung, wenn sie nicht voller Hass und Ekel auf andere ist. Gute Freunde sind so unglaublich wichtig im Leben, versau es dir nicht mit ihnen, es sei denn, es sind auch nur Egos. Aber dann kannst du sowieso auf die Freundschaft scheißen. Man muss sich gegenseitig befruchten im Geist und im Herzen. Voneinander lernen. Nicht immer nur: ICH, ICH, ICH! Aber das hab ich alles schon zigmal geschrieben. Ich weiß, ich wiederhole mich. Es ist immer wieder schön zu sehen, wo ein Beitrag mich hinführt. Es dreht sich meistens um die gleichen Themen. Kummer. Freundschaft. Liebe. Hass. Kriege … Cigars und Whisky, und Gin und Wein. Ums Schreiben natürlich. Klar. Mein Leben besteht aus Liebe, Familie, Genuss, Schreiben, Arbeit, Körper, Kunst – viel mehr ist es nicht. Reicht ja auch. Musik auch seit kurzem endlich wieder, zählt aber zur Kunst.
So, ich muss jetzt meinen Sohn von der Schule abholen, es ist gleich halb zwei. Heut und morgen bleibe ich mit dem Arsch zu Hause und übe für die Lesung am Samstag. Und gucke heut Abend mit meiner Frau bei einer Flasche Sekt oder einer halben Flasche Gin einen Film. Hab ich Lust zu.
Bis später …
Freitagmorgen, halb zehn.
Hab natürlich keinen Film mehr geguckt gestern Abend. Gin getrunken schon. Und am PC gesessen. — Habe jetzt die ganze Musik für „Vom Winde verweht“. Der Kollege ist schnell, Sonntag haben wir uns ja erst kennen gelernt. Mir gefällt, was er macht. Ich kann jetzt also zu Hause singen üben. Am Text feilen. Muss nicht in einen kalten, dunklen Muckraum. Alles geht heutzutage viel entspannter. Ich kann üben, wann ich will, brauch auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Höchstens auf meine Frau und meinen Sohn, die die Schiefe meines „Gesangs“ bestimmt nur bedingt ertragen können. Ich freu mich sehr, sehr auf den ersten Auftritt mit Henric’s. Voraussichtlich nur mit Gitarre und Gesang. Kein Krach. Außer natürlich mein Gesang. Der muss krachen. Richtig krachen. Ich hab keine Angst, auf der Bühne zu stehen. Mir bringt das unglaublich viel Spaß, Freude – einen schönen Kick. Jeder braucht doch irgendwie was Kickhaftes, oder nicht? Sonst wäre das Leben nur noch trübe und langweilig. Langeweile macht ja bekanntlich krank. Als ich sehr krank war, hab ich mich ziemlich oft gelangweilt, ich war aber auch zu nichts anderem in der Lage. Fernsehn, als ich mich wieder etwas konzentrieren konnte – Tag und Nacht lief die Flimmerkiste. Hab mir die übelsten Sachen reingezogen. Wollte mit keinem Menschen was zu tun haben. Bloß kein Licht in der Wohnung. Nur Zigaretten – Tag und Nacht. Siebenmal am Tag baden. Das war alles. Zum Glück hatte ich einen guten Freund, der einfach nicht lockergelassen hat, er blieb hartnäckig und hat mich nach und nach wieder unter Menschen gebracht, was bestimmt hammermäßig anstrengend für ihn gewesen ist. Wir sind immer noch befreundet, seit nunmehr 35 Jahren. Im Laufe des Lebens wird man aussortiert – oder man sortiert selber aus. Tut weh – einem selbst, oder eben dem anderen. Da muss man durch. Meistens bleibt einem keine Wahl. Ich wünsch euch lange, lange gute und ernste Freundschaften, wo jeder gibt und nehmen darf. Nur geben geht in die Hose. Es ist wie bei der einseitigen Liebe – man ist frustriert, traurig, wütend, verletzt.
Nichts für ungut, wir sehen uns morgen im Havana-Cuba-Linden !