Mal schauen, wie lange ich noch schreiben kann im Dämmerlicht. Ich sitze auf der Terrasse meines Ferienhäuschens an der Ostsee, die Mücken nerven, die Zigarette glimmt im Aschenbecher, der Tee ist fast kalt, im höchsten Fall noch lauwarm. Gute Nacht.
Donnerstag um Viertel nach sieben am Morgen.
Franz Kafka sagte, der Sinn des Lebens sei der, dass es irgendwann aufhöre. Das Problem, das ich habe, ist, dass ich schon lange keine Abenteuer mehr erlebt habe. Willst du etwas Spannendes schreiben, sind Abenteuer vonnöten. Ehrlich gesagt führe ich ein viel zu normales Leben. Zumindest fehlt dem Maniker die Euphorie. Andererseits liebe ich mein Leben so wie es ist. Ich liebe es so wie es ist, weil ich die allmächtige Liebe fühle. Der Schriftsteller zerrt von der Vergangenheit und der Gegenwart. Gerade könnte ich mir vorstellen, ich wäre in einer Großstadt, säße in einem Café voller Menschen, um sie genau zu beobachten und mir ein Bild von ihnen zu erschaffen. Ich spreche nicht von Hannover. Eher schweben mir Prag oder London, Paris, Berlin … vor. Stattdessen sitze ich in der vollkommenen öden Stille, ohne jeglichen Kontakt zur Lebendigkeit. Jetzt könnte man meinen, auch die Vögel, der Wind, die Natur … könnten dem Schriftsteller genug Lebendigkeit spenden. Doch das ist die Stimmung, die ich nur zu gut von zu Hause her kenne. Was für ein ödes Leben! Und doch liebe ich es. Manch ein Schreiberling braucht genau diese Ödnis. Ihm reicht seine eigene Fantasie aus. Was für ein Geschenk! Der andere Schreiberling benötigt Trubel um ihn herum. Egal, wo du dich gerade befindest, musst du dich drauf einlassen können. Manch ein Maler zeichnet ein beleuchtetes Café bei Nacht. Der andere sitzt am Meer und zeichnet die Weite, die Wellen, die Möwen. Für den Künstler bedeutet die Umgebung, in der er sich befindet, alles. Lässt er sich nicht drauf ein, wird ihm nur ein Schnappschuss gelingen. Jaja, ich könnte jetzt über die Schwalben, die am grauen Himmel tanzen, schreiben. Über das Vogelgezwitscher. Über die grünen Hecken, die das Grundstück umrunden. Ich sitze auf einer hellblauen Holzbank; es ist frisch heute Morgen, die Sonne wird sich in den nächsten Stunden nicht zeigen. Um die Seiten zu füllen, schreibe ich, dass ich mir die nächste Zigarette drehe und einen kräftigen Schluck starken schwarzen Kaffee trinke. Ich strecke mich. Ich hardere damit, mich an den Roman zu setzen. Da ist noch immer diese Sperre – auf ein Warum fehlt mir jede Antwort. Vielleicht ist es einfach Faulheit. Vielleicht ist das Thema zu schwer. Der Schriftsteller sollte im höchsten Fall auf Worte warten – nicht nach ihnen suchen. Kommen sie angeflogen, hat er sie einzufangen und aufzuschreiben. Bloß nicht lange nachdenken, ob seine Ideen für den Leser interessant genug sein könnten. Es existiert in diesem Augenblick kein Leser. Der Schriftsteller schreibt während des Prozesses für sich allein. Im besten Fall ist er mit der Schreibmaschine und der Umgebung um ihn herum, eins. Gerade stelle ich mir vor, ich wäre ein reicher Schriftsteller, der seine Familie ernähren könnte. So könnte ich mit völlig gutem Gewissen Reisen unternehmen, um das nächste Buch zu vollenden. Ja, ich könnte auf einem Marktplatz in der Sonne sitzen, in einem menschenvollen Café, oder eben auf einem Berg an einem Bachlauf. Es wäre allein meine Sache. So viele Künstler erfahren keine Unterstützung von der Außenwelt und schaffen nichts außer Trümmer. Es fehlt ihnen leider an jeglicher Spannung. Und dabei ist Spannung gerade das Wichtigste. Der Kaffee ist gut. Die Zigarette kickt. Zumindest das. — Gestern war ein guter Tag. Nach Jahren habe ich wieder Fußball gespielt. Ich habe gekämpft wie ein Stier, lag zehnmal im Sand. Meine Manschaft hat 4:10 verloren. Heute spüre ich jeden Muskel, heute Abend um siebzehn Uhr treffen wir uns zu einer Revanche. — Der Wind wird stärker. Doch die Wellen höre ich noch nicht rauschen. Den Mauerseglern ist das anscheinend nicht wichtig. Sie fliegen und fliegen. Was für eine freie Lunge sie doch haben müssen! Ich bemerke gerade, wie gut meine Laune ist. Ich kann schreiben, was ich will. Oder eher das, was gerade kommt. Ein ganz neuer Tag liegt vor mir. Vielleicht traue ich mich etwas später in die Ostsee. Gerade sind hier 12 Grad.