Schreibe ich, spüre ich

Der letzte Ostseeabend. Der letzte Ostseewind. Das letzte Rascheln des Bambus. Es ist halb neun. Ich bin erholt. Das Wetter ist noch immer herrlich. Die Luft wundervoll. Ich habe jede Minute genossen. Morgen geht es nach Hause. Ich freue mich. Ich lausche. Höre das Gurren der Tauben, höre das Zwitschern der Spatzen und das Kreischen der Mauersegler. Aus dem Nachbarhaus wehen Stimmen herüber. Es scheint, als kämen die Sätze, die sich vor mir bilden, von ganz allein. Das heißt nicht, dass sie Sinn ergeben müssen. Ich schreibe wegen des Schreibens wegen. Ich schreibe, weil ich möchte. Ich schreibe aus der Ästhetik heraus. Klar könnte ich auch obszön werden. So wie in meinen Romanen. Ich könnte dich beleidigen, dich beschimpfen, dich niedermachen, ohne dass du dich zur Wehr setzen könntest. Doch liebe ich die Freundlichkeit. Heute. Gerade ist mir danach, nett zu sein. Der Ort hier taugt für die Liebe, die mir inne wohnt. Ich fühle sie mit ganzem Herzen. Ich fühle sie im Bauch. Jeder Atemzug ein Geschenk. Es ist, als spreche der Wind ein Gedicht. Gleich werde ich zum letzten Mal zum Strand schlendern. Fünfhundert Meter von meinem Häuschen entfernt. Wenn alles gut läuft, bin ich im nächsten Jahr wieder hier. So wie im letzten und im vorletzten Jahr. Ich falte meine Hände ohne zu beten. Lange habe ich nicht gebetet. Und doch bin ich voller Dankbarkeit. Voller Demut. Voller Liebe. Voller Glaube. Ich fühle mich in diesen Minuten unendlich klar. Meine Seele, mein Geist, mein Leib sind eins. Der Wind wird stärker, die Vogelstimmen leiser. Ich sehne mich nach dir. Ich sehne mich nach euch. Vielen Dank, dass es dich gibt. Vielen Dank, dass es euch gibt. Das letzte Wochenende vor dem Alltag. Doch ist mein Alltag okay. Solange mir genug Zeit zum Schreiben bleibt, solange mich die Kreativität vorwärts treibt, gibt es nichts Größeres für mich, als das pure Leben. Schreibe ich, spüre ich, dass ich ganz bin. Schreibe ich, spüre ich die allmächtige Liebe. Das Schreiben zaubert mir ein Lächelns ins Gesicht. Die Anspannung fällt von mir ab wie die Schneeflocken vom Himmel. Zart und ganz leise. Sanft und glanzvoll. Nichts als Schönheit erfasst mich gerade. Ich möchte nicht beschreiben, wie beschissen manche Tage sind. Nicht heute. Nicht hier. Nicht jetzt. Der Abend ist zu herrlich. Und der Wind wird stärker und stärker. Gerne hätte ich jetzt ein Glas Wein. So drehe ich mir noch eine Zigarette. Ziehe. Rauche. Trinke einen Schluck kalten Kaffee. Flüstere vor mich hin. Schaue in den Himmel. Darauf auf den grauen Monitor. Wenige Sekunden vergehen und neue Sätze entstehen.

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