Wir brauchen mehr Gretas!

Hab richtig Bock auf euch. Sonntag, 23 Uhr, 18 Grad, leichter Wind, leichter Regen, gerade ne nicaraguanische Zigarre gequalmt, der Merlot steht neben mir, die Wanduhr von 1910 tickt.

So langsam habe ich mich erholt. Blutdruck war Wolkenkratzerhoch, derbe Erkältung, und ich merke endlich, leider, dass ich 50 bin. Fühl mich älter, gemütlicher, gesetzter sowieso, hab nur noch selten Bock, abends nach Hannover zu fahren, glotze eine Serie nach der anderen. Kenn ich so gar nicht von mir. Arbeite noch immer an der Leseprobe für den neuen Roman, der inzwischen nicht mehr S.S. heißt. Der neue Titel wird aber nicht verraten. Diese Woche geht die Probe an mehrere Literaturagenten, ich hoffe nach wie vor auf 10.000 Euro Vorschuss. Ihr seht also, von Aufgeben keine Spur. Sollte ich den Vorschuss bekommen, wird die Schule meines Sohnes für ein Jahr im Voraus bezahlt. Für viele ist das keine große Summe, mir würde sie für die Kunst total weiterhelfen. Wie etlichen anderen aus meinem Freundeskreis auch. Ich glaube, der neue Roman könnte einschlagen. Weil er ein so hoch explosives Thema beinhaltet. Ihr dürft gespannt sein. Von meinen bisherigen Büchern verkaufe ich so gut wie gar keine. Ansonsten mache ich fleißig Mucke mit Wahn, im Mai wollen wir auftreten. Das Klassikprojekt mit Dietmar liegt derzeit auf Eis, wenn wir da rangehen und die Gedichte vertonen, dann richtig, dann wollen wir hart daran arbeiten. Der Blues mit Andreas, die Klassik mit Dietmar, beides zusammen ist zuviel. Was mir immer besser gefällt (und es gibt immer mehr Hörer), ist die Podsau. www.podsau.com oder by Spotify. Meinen Job mit den Senioren mache ich immer noch gern, auch wenn er zu viel Zeit frisst. Dennoch genieße ich den Luxus, nicht jeden Tag arbeiten zu müssen. Den Mittagsschlaf (durch die Medikamente) muss ich mir immer noch gönnen, aber am 15. April habe ich endlich einen Termin bei einem anderen Psychiater, nach 12 Jahren mit der alten Psychiaterin. Ich hoffe auf eine gelingende Mediumstellung. Ich freue mich auf den Frühling, bald gehts im Garten los, bald kann ich wieder auf der Terrasse schreiben. Derzeit komme ich gut mit meinem Arbeitszimmer aus, sehne mich nicht mehr so sehr nach einer Schreibwohnung, schon gar nicht nach einem Schrebergarten. Dabei, vor ein paar Tagen saß ich mit meinem Sohn in einem Restaurant am Bahnhof und habe auf den Vorplatz, der voller Menschen war, geschaut, war sehr inspirierend. Das wäre die Frage: Stadt oder Land? Ich denke, unter Menschen zu sein, hat schon was Gutes. Nur über Wälder und Felder zu blicken, hat auch was, ist aber auf die Dauer vielleicht etwas öde. Könnte ich auf Job und Mittagsschlaf verzichten, und hätte ein Zimmer in Hannover, wäre das wahrscheinlich perfekt. Raucherwohnung versteht sich. Um acht meinen Sohn zur Schule bringen, dann durch nach Hannover zum Arbeiten fahren, um 16 Uhr Feierabend und nach Hause. Frau und Sohn wären da, und wir hätten Zeit. Wer träumt nicht von so einem Leben. Die Träume sind es, die mich immer am Leben erhalten haben. Hätte ich das Schreiben nicht, hätte ich mich schon vor Jahrzehnten aufgegeben. Die Hoffnung auf ein freies Autorenleben schwingt seit 30 Jahren mit. Oder steht sogar im Vordergrund. Das bleibt wohl auch so bis ans Ende meiner Tage. Und das ist ja auch nicht das Verkehrteste, wenn man seine Hochs pflegt. Die Hochs näheren den Menschen, machen ihn zeitweise glücklich, bringen Farbe ins Leben, Zuversicht, Glück, wenn es gut läuft. Zufriedenheit reicht oft nicht aus. Bist du nur zufrieden, gehts dir vielleicht ganz gut, aber du bleibst stehen. Wenn dir das natürlich reicht, welch ein Glück für dich. Wären alle Menschen nur zufrieden, gäbe es keine Kriege. Das wäre das Rezept. Aber keiner vermag es zu schreiben, bis auf die Esoteriker, die mit ihren Ratgebern Millionen scheffeln. Mir wird schon schlecht, wenn ich im Bioladen die ganzen Klugscheißer sehe, die sich was darauf einbilden, dass sie sich so gesund ernähren. Oder die immer Grinsenden. Die, die immer ihre Beißer zeigen. Drehen sie sich um, vergeht ihnen sofort die gute Laune. Weil sie mit ihrer verschissenen Esoterik nicht weiterkommen, immer noch Single sind, und das nur, weil sie ein viel zu anstrengendes Leben leben. Sie pflegen ihre Zwänge. Sie stinken nach Gesundheit aus dem Maul. Der Gestank ist undefinierbar, der aus ihnen herausströmt. Dann lieber Zigarette, Kaffee, Bier. Da weiß man, was man hat. Diese gesunde Haut, die zart rosa Wängchen, kein Gramm Fett, ganz natürlich, ganz rein, schön Yoga und Meditation. Wer es braucht, soll machen, aber Verhungern und Verdursten tun trotzdem noch Millionen. Ich schreibe morgen weiter, es ist halb zwölf, morgenfrüh gehts wieder los – Wecker usw. Bis denne.

Jetzt ist schon Donnerstag, 12 Uhr mittags, im Havana.

Die Zigarre glimmt neben mir, der Kaffee, der Ascher, der Laptop. Der riesige Wandspiegel, der mich im Raucherraum am Tisch sitzend zeigt, wenn ich hoch blicke. Es werden mehr Falten, weniger Haare, doppeltes Kinn. Ich bin nachdenklicher geworden in letzter Zeit, merke, dass es auf das letzte Drittel, wenn es gut läuft, zugeht. Deswegen wird es Zeit, endlich die langen, langen Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Es fehlt nur noch ein bisschen mehr Glück, die richtigen Leute, den richtigen Augenblick, den richtigen Ort. Ich spüre, in den nächsten Monaten ist alles möglich. Ich werde Udo F25 zuschicken, mit einem kurzen Brief, ihm mitteilen, dass aus dem Buch ein Drehbuch wird. Auch Marius werde ich in dem nächsten halben Jahr kontaktieren, ich brauche seine Musik für den Film. Ohne Marius und Udo würde es keinen Sinn machen, ihn zu drehen. Ihr könnt jetzt sagen, na ja, der soll sich nicht einbilden, dass sein Leben interessant genug war oder ist. Mir gehts darum, ein Stück Geschichte und einige Träume wahr werden zu lassen, ein paar Visionen auf die Kinoleinwand zu projizieren. Mir ist es auch ehrlich gesagt egal, was ihr findet. Jedes Menschenleben ist interessant, egal wie langweilig es auch erscheinen mag. Und ich glaube, es ist gar nicht so schlecht, einen Film über einen zu drehen, der glaubte, Gott zu sein. Die beiden Drehbücher müssen also gut werden. Marius und Udo müssen anbeißen. Bevor sie, oder ich, tot sind. Ich fühle mich kontrolliert, vom Leben. Das ist gar nicht schlecht. Dann passiert nicht mehr so viel aus dem Affekt, was mich schon öfter in missliche Lagen gebracht hat. Vor allem merke ich es immer finanziell. Schulden begleiten mich seit meinem 16. Lebensjahr. Eigentlich will ich doch nur Ruhe zum Schreiben haben. Zur Ruhe gehört natürlich Zeit. Zur Ruhe gehört, schreiben ohne großen Druck. Zur Ruhe gehört Unabhängigkeit, zumindest finanzielle. Dass Geld nicht glücklich und gesund macht, ist mir klar. Sollte jedem klar sein. Ich hab auch keinen Bock mehr drauf, noch einmal in den Wahn zu verfallen, ich müsse den Weltfrieden bringen. Kurze Gedanken daran, okay, aber dann sollen sie auch wieder verschwinden. Das alles wird mir nämlich viel zu anstengend. Gebt mir Ruhe. Gebt mir Geld. Schenkt mir Zeit. Lasst mich machen. Lasst mich schreiben. Lasst mich arbeiten an der Kunst. An den Ideen. Mein Kopf ist voll damit. Wer weiß, ob ich mit sechzig noch fit genug bin, Bücher zu verfassen. Ich weiß jetzt schon oft nicht mehr auf Seite 40, was ich auf Seite 15 geschrieben habe. Mir fällt es nicht mehr so leicht, einen Roman zustande zu kriegen. Es mag auch gerade am Thema liegen, das so hart ist, keine Ahnung. Ich glaube, die Drehbücher werden einfacher, weil die Vorlage ja schon steht. Es müssen für weitere Projekte auch keine neuen Ideen kommen, ich habe so viele davon, dass ich sie sowieso bis zu meinem Lebensende nicht mehr fertigstellen kann. Seit 30 Jahren lebe ich mit meiner Diagnose, seit 30 Jahren habe ich mit psychotischen Attacken zu tun – ich möchte Ruhe. Ich bitte darum! Es macht mir nichts mehr aus, ein Serienjunkie zu werden, wenngleich ich noch vor einigen Monaten so sehr über Fernsehgucker abgekotzt habe. Ihr werdet mir egaler. Es ist euer Leben, eure Zeit. Was geht es mich an, ob ihr ein Buch lest oder euch durchs Leben vögelt. Nichts. Das Wichtigste ist es doch, keinen Menschen zu töten. Keine Kriege zu führen. Keinen zu diskriminieren, jeden so zu nehmen, wie er ist. Es sei denn. Genau – es sei denn. Ich kann einen Menschen nicht so nehmen, wie er ist, wenn er Waffen baut, Waffen verschachert, gegen Flüchtlinge und Juden hetzt, Minderheiten ausschalten will. Wie soll das gehen. Wer dazu nichts sagt, wer dazu seine Fresse nicht aufkriegt, ist n Dulli, hat im Laufe der gesamten Menschheitsgeschichte nichts gelernt. Jeder Mensch sollte sich als Geschenk des Himmels sehen, und das muss nichts mit einem Gott zu tun haben. Nutz die Zwischenzeit. Tu was für die Erde. Für die Liebe. Für den Frieden. Es muss gar nicht viel sein. Doch – eigentlich muss es sehr, sehr viel sein. Es muss verdammt nochmal total viel sein. Wir schaffen es nur mit der Masse. Wie soll das gehen – nicht den Weltfrieden bringen zu wollen! Hat dafür jemand ein Rezept parat? Dann schickt es mir. Ich bin kaputt, ausgelaugt, müde. Wir brauchen mehr Gretas, junge Menschen mit Visionen, mit unglaublicher Kraft, dazu müssen die Menschen mit Einfluss kommen. Ich hör jetzt auf – schaue hoch in den Spiegel, blase den Rauch aus, lese noch mal gegen – und ab dafür in die große weite Welt   !

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