Wenn erst die Seele angeknackst ist

Es ist kurz vor elf am Abend. Heute hatte ich einen wundervollen Tag, trotz des ganztägig grauen und diesigen Himmels. Nun, nach einer guten Zigarre, gönne ich mir noch einen italienischen Merlot. Ich mag die Stille in meinem kleinen Zimmer, überlege mir schon, wie ich meinen Schreibtisch ein Stück vergrößern kann.

Tag für Tag

Es ist ein Zwang, Tag für Tag ein Gedicht zu schreiben, an meinem Schreibtisch bin ich ein Superstar, kein Mensch kann mich von hier vertreiben, doch leider sind viele Zeilen nicht wahr. Ich spinne mir oftmals etwas zusammen, wer soll mich auch daran hindern, ich liebe es zu ergründen, Wunder und Flammen, und lass meinen Schmerz durch den zarten Reim lindern. In meiner Kammer fühle ich mich frei, das Sonnenlicht strahlt auf den Bogen Papier, ich flehe und schwöre Worte herbei, und hoffe, dass ich mich nicht in meinen Schriften verlier. Manches Mal treiben meine Zeilen mich fort, in den Traum der Unendlichkeit, innerlich verschiebe ich Wort um Wort, und bin schon für den nächsten Vers bereit.

Es gab Zeiten, da war ich unausstehlich, wenn ich nicht geschrieben habe. Ein Tag ohne etwas zu schreiben, war für mich ein vergeudeter Tag. So habe ich es mir selbst schwer gemacht. Heute sehe ich das zum Glück etwas lockerer. Klar würde ich gerne an einem Roman arbeiten. Allerdings merke ich immer deutlicher, dass ich mich dazu nicht zwingen kann. Ich kann nur gerade das verfassen, was über mich kommt. Und um alte Sachen zu überarbeiten, brauche ich mehr Disziplin. Aber ich bin dran. Es geht langsam voran. Für heute mache ich Schluss, räume noch ein wenig mein Zimmer auf.

Zwei Tage später. Freitagabend, 23 Uhr.

Die Tage sind durchwachsen, die Nächte ruhig. Ich sitze in meinem Zimmer, trinke ein Glas Chianti, habe gerade eine ziemlich gute Zigarre geraucht und denke über das Leben nach. Gibt es das Schicksal? Manche glauben daran. Sollten wir hadern? Mit uns selbst? Mit dem Leben überhaupt? Sollte man sich fragen, warum ausgerechnet ich, wenn einem etwas Schreckliches widerfährt? Nein. Gibt es einen Gott? Gibt es viele Götter? Ich glaube an Gott. Ich glaube an die Göttlichkeit. Ich glaube an die Liebe. Du solltest nicht verzweifeln. Zweifeln schon. Es kann einem keiner verbieten. Wichtig ist es, im Innern ruhen zu können. Wichtig ist es, niemals seinen Humor ganz zu verlieren. Lachen ist das Gesündeste, was uns mitgegeben wurde. Sei nicht immer so ernst. Lach auch mal über dich selbst. Mach es dir zu Hause schön. Fühl dich in deinen vier Wänden richtig wohl. Genieß es, zu Hause zu sein. In der Wärme. Im Licht. In der Küche am Herd. Mit der Familie am reich gedeckten Tisch. Überlege dir, was der Tag dir Gutes gebracht hat. Sag Ja zum Leben. Es ist ein Geschenk. Es wird dir gegeben, es wird dir genommen. In dem Körper, in dem du dich gerade befindest. Er ist endlich. Sei dankbar für die Jahre, die du bisher leben durftest. Schimpf getrost mit deinem Gott, wenn du etwas ungerecht findest. Es ist dein gutes Recht. Du kannst mit deinem Gott so viel schimpfen, wie es dir beliebt. Er straft dich dafür nicht. Versuch, ihn nicht zu beleidigen, sonst beleidigst du dich selbst. Denn der Gott ist in dir. Tu jeden Tag etwas für dich selbst. Tu das, was dir gut tut. Versuch, keinen Menschen zu verletzen. Und wenn du es doch mal tust, bitte ihn um Verzeihung. Schäm dich nicht, Entschuldigung zu sagen. Wenn dir jemand nicht verzeiht, ist das sein Problem, mach es nicht zu deinem. Versuch, nicht zu hassen.

Mein Bussard

Ich zergehe vor Glück, wenn meine Augen dich unter den Wolken sehen kreisen, du nimmst mich mit, auf deine vom Winde treibenden Reisen. Ich zerschmelze im Wahn, dein Leib ist der Genuss meiner Augen, ich greife nach dir, und für einen Moment kann ich zu fliegen mit deinem Gefieder glauben. Wie zart du doch gleitest, der Sturm bringt unsere Seelen hoffentlich niemals zum Stürzen, wie friedlich du leitest, warum müssen die unsichtbaren Leinen meiner Freiheit sich je wieder kürzen? Mein Bussard, du bist mein fliegender Seelengenuss, mein Bussard, du bist das Geschenk meiner Freiheit, mein Bussard, du stürzt wie ein Pfeil in meine pulsierende Brust, mein Bussard, unsere Herzen sind die der vollendeten Gleichheit.

Der konzentrierte Blick auf das Papier. Den Bleistift in der rechten Hand. Die Schrift. Die Brille auf der Nase. Die Augenlider halb geschlossen – das Bild von Ernest Hemingway an der Wand neben mir. Ganz innig ist er in seine Schrift vertieft. Ganz ruhig ist er. Ganz bei sich. Vom Kopf, durchs Herz, in die Hand, durch den Stift, aufs Papier. Buchstaben. Worte. Sätze. Kurze knackige Sätze. Alkohol. Frauen. Zuerst Armut. Später Geld. 1899 geboren, 1961 Suizid. Geld macht nicht glücklich. Depressiv ist depressiv ist depressiv. War es die Angst, nie wieder ein großes Werk schreiben zu können? Ich könnte es mir vorstellen. Wie Falco. Als Falco die Charts auf Platz 1 gestürmt hat, fiel er gleich darauf in die tiefsten Abgründe. Weil er glaubte, oder gar wusste, nie wieder da ran zu kommen. Es konnte nur schlechter werden. Erfolgssucht. Druck. Der alte Mann und das Meer. Ein Jahrhundertroman. Das ist Kunst. Nobelpreis. Und doch eine so kranke Seele. So arm. So reich. So arm. Krankhaft verrückt. Ein körperliches Leiden ist zumeist leichter zu heilen als ein seelisches. Wenn erst die Seele angeknackst ist. Schon in der Kindheit. Gerade die Kindheit ist so enorm wichtig.

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