Sehnsucht

Es ist 16 Uhr 30.

Bisher war der Tag okay. Ich habe zwar nichts auf den Schirm gekriegt, aber die Stimmung ist nicht ganz so trübe wie gestern. Mir kam in den Sinn, dass ich wahrscheinlich noch immer von der Corona-Infektion so müde bin. Ich könnte nur schlafen. Ich finde es jedoch zu schade, den ganzen Tag zu verpennen, gerade deswegen, weil ich Urlaub habe. Auch das Überarbeiten von „weg“ fällt mir schwerer als sonst. Es fehlt der richtige Antrieb. Es ist, als tuckere ich die ganze Zeit im ersten Gang. Vielleicht schalte ich ja heute Abend noch zumindest in den zweiten. Und wenn ja, ist es wiederum schade, wenn ich den Abend abbrechen muss. Wenn die Ampel Rot anzeigt. Ich will nicht klagen. Viele andere Menschen, die ich kenne, hat es mit einer Grippe härter getroffen. Bin ich einen Tag depressiv, denke ich gleich, hoffentlich bleibt das jetzt nicht wieder so. Gebrandmarktes Kind. Monate und Jahre der Depression haben ihre Spuren in meiner Seele hinterlassen. Es kommt aber meistens die Zeit des Widererwachens. Ihr armen chronisch betroffenen Depressiven! Bitter ist es, wenn keine Medikamente und nicht mal eine Elektrokrampf-Therapie anschlägt. Jaja, Sport hilft. In einer schweren Depression bist du froh darüber, wenn du es auf den Pott schaffst. Du hast Glück, wenn jemand für dich einkauft, deine Bude putzt und für dich kocht. Du hast Glück, wenn du wen an deiner Seite hast. Mach dein Ding. Versuch dich irgendwie zu befreien. Schreib ein paar Zeilen. Hör dir eine gute Platte an, die dich an bessere Zeiten erinnert. Guck dir eine Komödie an. Versuch ein paar Schritte an der frischen Luft zu gehen. Glück hast du, wenn es dir gelingt, deine kranke Seele ein wenig zu befreien. Meiner Meinung nach muss es nicht immer einen Auslöser für eine psychische Krise geben. Eine Manie kann dich von einem Tag zum anderen erwischen. Du kannst dich nicht darauf vorbereiten. Klar, es gibt Frühwarnsymptome, die du unbedingt kennen solltest. Doch diese sind manchmal so subtil, dass sie dir kaum auffallen. Fallen sie dir nicht auf, hängst du ruckzuck in einer Psychose.

11 Uhr 35

Wieder ist eine Nacht vorbei. Der Tag ist mit Aufgaben vollgepackt. Ich bin schon kaputt, bevor ich eine einzige von ihnen erledigt habe. Gleich werde ich mich ins Einkaufsgetümmel stürzen. Dann ist der Haushalt dran. Mir ist viel mehr danach, in einem Schreibzimmer zu sitzen, um dort in aller Ruhe zu arbeiten. Zuhause steht stets die Ablenkung mit im Raum. Sie sitzt mir im Nacken. Das schlechte Gewissen, unbedingt etwas tun zu müssen. Gerne hätte ich einen Arbeitsweg. Raus aus dem Alltag. Rein in die Fantasiewelt. Was zu meiner schlechten Stimmung noch hinzukommt, ist nach wie vor die verdammte Müdigkeit. Manchmal weiß ich nicht, ob ich gerade müde oder depressiv bin. Vielleicht auch beides zeitgleich. Ich fühle mich schwer. Meine Augenlider fallen regelrecht zu. Ich möchte mich verkriechen und doch so viel schaffen. Dadurch entsteht innerer Druck. Das Setzen von Worten hilft bedingt. Es befriedigt mich in der Zeit, in der ich es tue. Ich stütze meinen Kopf ab. Schließe immer wieder die Augen. Trinke Tee. Versuche Jean zu erreichen. Er hebt nicht ab. Schaue meine Mails durch und hoffe auf eine Antwort einer Agentur. Mit dem Wissen, dass es doch eine Absage ist. Ziehe mich selbst in den Sumpf. Selbstgeißelung, die ich anscheinend für irgendetwas brauche. Ich werde jetzt BLOCK ausdrucken und Constanze bringen. Cupi hat den Roman gelesen, heute Abend bekomme ich das vollständige Feedback. Bisher ist die Note 3+.

Macht es erstmal gut.

Post navigation

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.