Pssst

Guten Morgen!

Draußen ist es kalt. Und schön. Und windstill. Hier drinnen dampft der Kaffee aus der weißen Tasse. Das Fenster steht auf kipp; die Vögel zwitschern vergnügt. Ich habe wunderbar geschlafen und interessant geträumt. Von Gold und Ruhm. Das Interessante war, dass mir ein goldenes Herz gestohlen wurde. Vor allem aber träume ich ziemlich häufig von alten Freunden, die mit mir nichts mehr zu tun haben wollen. Zu recht, muss ich zugeben. Zum Glück habe ich noch immer Freunde, die mich auf meinem Lebensweg begleiten, auf die ich mich stets verlassen kann. Und sie sich auf mich. Ach, das Leben ist schön. Von einer Skala zwischen 0 und 10 steht der Strich derzeit konstant auf 5. Damit lässt es sich gut aushalten. Ich steigere mich nicht in den Krieg hinein. Seit ein paar Tagen nicht mehr. Ich steigere mich nicht in meine Schriften zu tief hinein. Und doch fühle ich genug in meinem Herzen. Ich fühle die volle Liebe zu meiner kleinen Familie. Ich fühle mich wohl, und auch freier als noch vor einigen Monaten. Nach wie vor telefoniere ich so gut wie jeden Abend mit Cupi. Telefoniere ich mit TB, gibt es immer viel zu lachen. Telefoniere ich mit Constanze, tauschen wir uns über unsere Künstlerliebleien aus. Jean ruft mich entweder montags oder dienstags an, oder ich ihn. Mit Alex fällt es mir etwas schwerer am Telefon zu sprechen, wir verstehen uns ohne Worte, surfen auf einer Welle durch die Welt. Am Schönsten ist es, wenn wir uns live sehen. Auch mit Micha telefoniere ich regelmäßig – er bringt mich meistens zum Lachen. Oder ich bin nach zwei Minuten genervt. Mit Marius treffe ich mich alle paar Wochen, oder wir sehen uns in unserer Selbsthilfegruppe, wir gehen stets freundlich miteinander um und können aufeinander zählen. Menschen, die mir zu negativ sind, meide ich. So wenig Pflichttreffen wie möglich bitte. Am besten gar keine. Zu meiner Mutter pflege ich regelmäßigen Kontakt. Mit meiner Schwester verstehe ich mich ausgezeichnet. Hört sich alles tuttifrutti an. Ist natürlich nicht immer so. Meine Mutter schafft es immer mal wieder mich zu verletzen. Vor allem dann, wenn alte Wunden aufgerissen werden. Riesengroßes Glück habe ich mit meinem Psychiater und meinem Therapeuten. Ich fühle mich bestens aufgehoben – die Gespräche finden auf Augenhöhe statt. Mein Therapeut hat das ausgesprochen fantastische Talent mich zu durchschauen. Schon vor elf Jahren in der Tagesklinik konnte er mir hervorragend helfen. Fünfzehn Jahre ist nun schon der letzte stationäre Aufenthalt in einer Psychiatrie her. Eigentlich kann das mit meiner Diagnose mal ordentlich gefeiert werden. Stabilität geben mir natürlich am meisten mein Sohn und meine Frau. Ich hoffe, dass niemals jemand zwischen uns stehen wird. Na klar kann es passieren, dass ich mich verliebe. Es kann auch passieren, dass ich flirte. Jaja. Die Frage wird dann sein: War ich zuerst manisch und habe mich in einem euphorischen Zustand verliebt? Oder habe ich mich tatsächlich zuerst verliebt und bin dann in die Manie gerast? Da ich auf einem Seil tanze, ist das nicht ganz so leicht nachzuvollziehen. Schon wenn mir eine Frau äußerst sympathisch ist, hilft es mir, sofort einen Riegel davorzuschieben, und zwar bevor etwas Blödes passiert. Wenn der Kopf in die Hose rutscht, ist es sinnvoll, sich zu beschäftigen.

Man muss sich nicht einbilden weiter zu sein als andere Menschen. Mit was denn weiter? Auf dem geheimen Pfad? Weil du einen der Töne vernommen hast? Am Ende wirst du es nicht entscheiden, wie weit du gehen wirst. Es interessiert auch nicht. Es ist egal, wer weiter oder nicht weiter ist. Was hast du davon, wenn einer angeblich noch nicht so weit ist? Bildest du dir dann darauf etwas ein? Bist du tatsächlich stolz darauf? Worauf denn? Dass du wirklich weiter bist? Warum kiffst du dir jeden Tag die Birne zu? Klar, es ist deine Sache. Ich weiß nicht, ob Gras wirklich heilig ist. Ich weiß nicht, ob dir dein Gras zur Heiligkeit verhilft. Ich weiß es nicht. Könnte sein, klar. Du hast dich schon immer irgendwie weiser als andere gefühlt. Mehr wissend. Ständig ziehst du Vergleiche. Hör endlich auf damit. Ich weiß, dass du nicht das Materielle meinst, wenn du sagst, der oder der ist aber weit. Mich nervt es manchmal ganz schön. Ich erzähle dir schon gar nicht mehr meine Träume, weil ich eben das Gefühl habe, dass du glaubst, du seist sowieso weiter. Du willst einfach weiter sein. Du glaubst, du glaubst mehr an Gott als alle anderen, die du kennst. Oft erwähnst du, der oder die seien auf dem Weg. Auf welchem Weg? Auf dem heiligen Pfad? Du hast zwei oder drei spirituelle Bücher gelesen. Ja, ich weiß, Schicksal, dass es ausgerechnet jene Bücher waren. Hör auf, dir zu viel einzubilden, auch wenn es dir damit nicht schlecht geht. Meinetwegen bist du ein Seher. Weißt du, wie viele Seher es auf der Welt gibt? Das ist nichts Besonderes. Es ist auch klar, dass es keine Zufälle gibt. Trotzdem glaube ich nicht, dass unsere Geschichten vorgeschrieben sind. Wir können die Welt beeinflussen. Wir werden beeinflusst – jeden Tag aufs Neue. Vielleicht können wir das Weltgeschehen sogar umschreiben. Wir tun doch nichts anderes, als zu beeinflussen. Egal, mit wem du gerade zusammen bist – du beeinflusst – und wirst beeinflusst. In deinen Worten, in deinem Handeln. Ich jedenfalls erfreue mich an dem Gedanken, dass ich einen freien Willen habe. Ich erfreue mich an dem Gedanken, dass ich freie Entscheidungen treffen darf. Du musst auch nicht jeden Tag aussprechen, wie dankbar du bist. Du musst mir nicht erzählen, dass du dich schon wieder bedankt hast. Ich denke, entweder ist die Dankbarkeit und auch die Demut in dir, oder eben nicht. Weise Menschen wissen und schweigen. Du musst keinem was beweisen. Und schon gar nicht mir. Dass es keine Zufälle gibt, weiß ich seit meinem neunzehnten Lebensjahr. Sagen wir, ich glaube es zu wissen. Spräche ich den ersten Satz aus, stellte ich mich dir gleich. Es ist schade, dass du meine Träume nicht verstehst. Du mir aber andauernd deine Träume erzählst. Was ich sagen will: Du erzählst mir nichts Neues. Gar nichts um ehrlich zu sein. Pssst.

Vielleicht schreibe ich heute Abend weiter. Mal schauen, was der Abend bringt.

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