Sonntag, 22.00 Uhr
Es schüttet den ganzen Tag. Es stürmt. Ich bin wütend. In mir tobt es heute Abend. Ich kann gar nicht genau sagen, warum. Wir wissen überhaupt nicht, was auf uns zukommt. Zuerst einmal müssen wir den Krieg in uns zum Stillstand bewegen. Jeder für sich. Jeder, der in sich einen Kampf austrägt, sollte sich fragen, ob er es wert ist. Wir regen uns auf. Meistens über Kleinigkeiten. Und draußen tobt es. Die Welt tobt. Die Menschen toben – sich aus. Sie sind kurz davor durchzudrehen. Ich sitze hier, trinke ein Glas Rum und warte schon wieder auf Worte. Ich will niemanden verletzen. Es reicht doch, dass wir uns ständig selbst zusetzen. Unsere Gedanken machen uns krank. Unsere Gedanken lassen uns wüten. Du schreist nach Hilfe – und keiner hört dich. Du schreist um Hilfe – du wirst ignoriert. Du fragst höflich nach – und es kommt keine Antwort. Weil dich alle, die dich kennen, für verrückt halten. Nur die, die dich gut kennen, wissen, dass du es nicht bist. Ja, du bist ziemlich normal. Jetzt gerade zumindest. Du darfst wütend sein. Du hast das Recht dazu. Guck dir die verrückten Idioten an! Sie sind es, die dich herausfordern. Zetteln sie einen Krieg an, oder bist du es? Der Größenwahn ist nicht über Nacht gekommen. Er bahnt sich seit Jahren an. Und wir? Haben drüber gelacht. Jetzt lacht keiner mehr drüber – nur der Idiot. Der Idiot lacht noch immer. Ein Scherz. Lässt sich mit dem Irren ablichten und zwingt sich ein Lächeln ab. Unechter geht nicht. Da gibt es nichts mehr zu lächeln. Eigentlich müssten wir uns gerade alle in die Hosen scheißen. „In 15 Minuten sind die Russen auf dem Kurfürstendamm!“ Ein Lied von Udo. So verdammt schnell kann es zu Ende sein. Hört auf zu reizen. Nein, ich habe keine Lösung. Keiner von uns hat eine Lösung. In mir brodelt es. In mir wütet es. In mir sieht es so aus wie draußen das Wetter. Der Sturm. Der Regen. Mein Herz tropft. Aber nicht aus Mitleid oder Selbstmitleid. Nur noch aus Zorn. Aus Wut. Aus Zorn und Wut auf die wahren Irren. Auf die wahren Größenwahnsinnigen. Und alles zentriert sich weiter um dein Ego. Nur du, du, du. Jeder ist der Experte auf seinem Gebiet – anstatt die Zusammenhänge zu sehen und zu erkennen. Freier Fall. Freier Fall des Adlers. „In 15 Minuten sind die Russen auf dem Kurfürstendamm!“ Wir kommen hier nicht raus. Wir Kleinen jedenfalls nicht. Wüste. Wo willst du hin? Das Drehbuch ist längst verfasst. Der Plot. Die Wende. Heute hört es nicht mehr auf zu regnen und zu stürmen. Wäre ich psychotisch, würde ich vor Schuld und Schmerz zusammenbrechen. So wie damals. Scheiße – ich bin nicht psychotisch. Ich sehe klar. Verstehen tue ich es trotzdem nicht. Ich bin ratlos. Wütend. Wütend. Wütend. Wer wünscht sich einen Krieg? Auf jeden Fall keiner, der ganz nahe dabei ist. Keiner, der mitten drin ist. Nur jemand, der genug Abstand hat. Und, na, wer hat genug Abstand?
Montag, 8.00 Uhr
Meine Laune ist fantastisch. Es ist noch immer ziemlich windig da draußen, dennoch strahlt die Sonne durch. In meiner kleinen Welt geht es mir heute gut. Die große Welt lasse ich für ein paar Minuten außer acht. Der Tee dampft, mir ist warm, ich habe gefrühstückt und meinen Sohn zur Schule gefahren. Ein Lächeln hat sich auf meine Lippen gelegt. Es ist nicht mehr wichtig, ob meine Gedichte veröffentlicht werden. Wie lange Zeit bleibt uns noch? Wir sollten jetzt jeden Tag so leben, als wäre es fünf nach zwölf. Lasst uns feiern. Lasst uns die Tage genießen. Lasst uns unsere kleinen Welten in Ordnung bringen. Freuen wir uns auf den Frühling. Machen wir einfach so weiter – nur besser, nur intensiver, nur konzentrierter. Vielleicht hilft dir das Gebet. Mein Gott – wie lange ich nicht gebetet habe! Mir ist nicht danach. Ich kann auch nur danken, immer nur danken, dass es mir so geht, wie es mir geht. Wie lange noch? Keiner von uns weiß es.
Was mir noch bleibt, ist, euch einen schönen Wochenstart zu wünschen.
Liebste Grüße vom Deister
Henning