Ich bildete mir ein …

Was bildet man sich ein? Was ist wahr? Was wird wahr? Ich bilde mir seit über dreißig Jahren ein, dass meine Gedichte weltberühmt werden. Meine Einbildungskraft ist so stark, dass sie mich zeitweise verrückt gemacht hat. Ich bildete mir ein, dass meine Gedichte in aller Welt zu lesen sein werden. Und jetzt? Jetzt bilde ich es mir komischerweise immer noch ein. Ich bildete mir ein, dass ich der weltberühmteste Dichter aller Zeiten werde. Und jetzt? Ich bilde es mir komischerweise immer noch ein. Und wenn es real werden sollte? Dann kann ich sagen, ich habe die ganze Zeit fest daran geglaubt. Wäre es dann noch eine Überraschung? Schließlich habe ich seit über dreißig Jahren damit gerechnet. „Gerechnet“ ist nicht ganz das zutreffendste Wort. Damit geliebäugelt? Oder gar gewusst? Was ist das für ein Wissen? Ein krankhaftes? Ein manisches? Ein schizophrenes? Auf jeden Fall ist das Wort „Glaube“. Ich glaube noch heute daran. Ich wäre nicht erschüttert, wenn sich mein Glaube in Realität verwandelt. Ich war erschüttert, als zum ersten Mal das „Wissen“ wie ein Blitz angeschossen kam. Das war für mich schlichtweg nicht zu verarbeiten. Doch wie gesagt: Jetzt rechne ich damit. Es geht nicht ums Geld. Es geht in den Gedichten um die Wahrheit. Um so viel Wahrheit. Um Direktheit. Es ist keine Lyrik, über die man lange nachdenken muss. Piffpaff – und die Verse sitzen. Jeder versteht sie. Nichts Hochtrabendes. Sie sind für jedes Kind fassbar. Natürlich (da ich die meisten in einer Psychose verfasst habe) ist auch in ihnen eine Menge Einbildung enthalten. Das kann gar nicht ausbleiben, wenn man manisch schreibt und schreibt und schreibt. Wenn die Finger schneller als die Gedanken sind. Es sind wahnsinnige Gedichte dabei. Es sind sehr schöne Gedichte dabei. Viele Gedichte sind einfach ehrlich. Ich konnte beim Schreiben nicht denken, es war, als fielen die vielen Reime direkt aus dem Himmel. Ich bildete mir ein, es seien göttliche Verse, die die Welt retten. Verse, die den Weltfrieden bringen. Ich versuchte mich während des Schreibprozesses immer wieder zu bremsen und mich kleinzumachen. Ich wollte nicht wieder, wie in meinen Psychosen, zu Jesus werden. Oder gar zu einem Gott. Oder zu Satan. Zu einem Engel. Ich wollte einfach nur ich selbst sein. Ich betete und betete. Ich hatte unglaubliche Angst vor der katholischen Kirche. Ich hatte unbändige Angst vor dem Vatikan. So etwas nennt man Paranoia – wenn die Angst nicht begründet ist. Ich konnte sie jedoch im Wahn stets begründen. Ich bildete mir ein, ich wisse zu viel und dürfe es nicht. Ich war durchweg im Zwiegespräch mit Gott. Mit Jesus. Ich bildete mir ein, Jesus sei mein Vater, Gott mein Großvater und der Urgott mein Urgroßvater. Ich bildete mir ein, ich müsse die Erde regieren, so wie Jesus das Paradies regiert. Ich bildete mir ein, es gäbe vier Universen. Ich sei für unseres zuständig. Mein Gott, was man sich alles so einbilden kann. Der Preis ist hoch. Der Aufprall ist hart. Das Dunkel ist tief. Ich bildete mir ein, ich führe mit dem Fahrstuhl ins Paradies. Ich sah es direkt vor mir, jedoch durfte ich nicht eintreten. Ich bildete mir ein, dass ich die wunderschöne Allee zum Paradies kenne. Deutschland sei dem Paradies ähnlich. Hannover sei der Thron. Ich bildete mir ein, vier Arten der Hölle zu durchleben. Es war schrecklich. Ich war so durchtrieben von Furcht und Angst und Schmerz. Seelisch war der Schmerz, seelisch und leibhaftig. Ich habe gebrannt. Jedenfalls bildete ich es mir ein. — Ich habe Freude daran, diesen Blog zu schreiben. Er geht mir viel leichter von der Hand als der Roman. Ich bildete mir wirklich sehr viel ein.

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