Es geht so. Nicht berauschend heute. Bin etwas nervös, zerfahren, passend zum Wetter. Schlecht geht es mir aber nicht. Eher bin ich genervt, angespannt, nicht gut gelaunt. Dabei habe ich des Nachts einen wunderschönen Traum voller Hoffnung geträumt. Ich habe ihn nicht sofort wieder vergessen, trage ihn schon durch den ganzen Morgen. Warum bin ich genervt? Weil sich der Traum nicht in der Realität widerspiegelt vielleicht. Doch so sind die meisten unserer Träume. Jahrzehnte lang glaubte ich an meine bunten Tagträume. Tausende von Tagen marschierte ich euphorisch durchs Leben – immer mit dem Glauben daran, von meiner Schreiberei fantastisch leben zu können. Gar malte ich mir aus, der meistgelesene Schriftsteller der Welt zu werden. „Weltschriftsteller“ habe ich mich genannt. Ich bin unausgeglichen. Unzufrieden. Warum? Weil ich mich gerade zu nichts aufraffen kann. Holz müsste gehackt werden, das Dach der Gartenhütte müsste gedeckt werden, ich müsste den Rasen mähen usw.
Manchmal kommt einem das Leben wie ein Spiel vor. Dann macht es Spaß. Manchmal ist es federleicht. Alles gelingt dir. An anderen Tagen, Wochen, Monaten ist es zum Kotzen – es scheint, du würdest das Spiel verlieren. Oder wärst überhaupt nicht dabei.
Schon morgens um sechs scheint die Sonne, der Himmel strahlt in einem vollen Blau, in der Nacht konnten wir den vollen Mond bestaunen. Ein herrlicher Morgen beginnt gerade für mich. In einer Stunde fahre ich zur Arbeit, heute Abend nehme ich beim Poetry Slam im Lister Turm teil. Ich werde Texte lesen, die ganz frisch aus dem Drucker gerattert kamen. Ein Versuch. Nichts als ein Versuch.
Ich sehe gerade, dass die Wanduhr von 1910 stillsteht. Entweder lebt sie wieder ihre Macken aus oder ich muss sie nur aufziehen.
Sonntagmorgen um 6 Uhr 40
Den letzten Platz beim Poetry Slam belegt. Doch drei Komplimente dreier Frauen zu meinen Texten habe ich bekommen, die mich bestärkten. Vielen Dank dafür! Am 21.9. bin ich wieder dabei – in der Faust. Doch dort werde ich etwas Humorvolles lesen. Alles braucht Übung. Alles braucht Zeit. Spaß gemacht hat es auch gestern. Das Publikum war toll. Vor allem natürlich die drei Frauen. Ich bin nicht in Form gewesen, war unsicher, wieder nervös und zerfahren. Konnte eines meiner ältesten Gedichte plötzlich nicht mehr auswendig, habe mich verhaspelt. Warum nimmt man an einem Wettbewerb teil? Nur um daran teilzunehmen? Um dabei zu sein? Zumindest im Hinterkopf rattert der Sieg, um weiterzukommen. Um im Brauhaus oder in der Oper auftreten zu dürfen.
Montagabend um 21 Uhr 46.
Ich sitze auf meiner Terrasse und genieße den Abend. Rauche eine Zigarette, trinke ein Glas kalten Weißwein und lasse meine Finger über die Tasten tanzen. Die Vögel zwitschern noch, ein paar Schwalben fliegen hoch am Himmel. Und wieder strahlt der Abendstern im Osten. Der Kater meiner Nachbarin streift mir um die Beine und schnurrt. Eine Drossel pickt im Gras. — Ich habe angefangen etwas Neues zu schreiben. Habe aber keinen Schimmer, ob ich ans Ziel gelange. Zumindest bereitet mir der Text bisher große Freude. Vierzehn Schwalben konnte ich gerade zählen. Eine Mücke nervt mich und surrt mir um die Ohren. Mir schwirrt eine Frage im Hirn rum: Worauf es im Leben wirklich ankommt. Na klar, ehrlich zu sein. Freundlich zu sein. Zuverlässig zu sein. Ich habe im Leben viel gelogen. Die Lüge holt dich ein. Immer. Du weißt um deine Lügen – immer – und auch noch ganz am Schluss. Es sei denn, du bist dement. Du solltest nicht der Gier verfallen. Versuch von deinen Süchten loszukommen. Leg dein Ego beseite soweit es dir gelingt und nutz deine Nächsten nicht aus. Sei lieber bescheiden. Halt dich zurück. Überlege dir, was du sagst. Gesagt ist gesagt. Geschrieben ist geschrieben. Vieles kannst du nicht mehr gutmachen. Es gibt Menschen, die lassen Entschuldigungen nicht gelten. Oftmals zurecht. Missbrauch nicht das Vetrauen deiner guten Freunde. Rede nicht zu viel. Verwahre Geheimnisse wie deinen wertvollsten Schatz. Öffne dich nöchstens bei deinem Therapeuten. Musst du unbedingt etwas loswerden, pfeffere ihm die ganze Scheiße in sein Hirn. Er weiß damit umzugehen.
Ein Schluck Wein. Eine Zigarette. Der Kick in der Lunge. Es wird dunkel. Noch ein paar wenige Sätze – und dann geht dieser Text in die große weite Welt. Seit sechseinhalb Jahren verfasse ich hier in diesem Blog meine Beiträge. Nach wie vor ein wunderbares Ventil für mich. Manch ein Leser, manch eine Leserin bgeleitet mich von Anfang an. Ihr habt diverse Phasen meines Lebens mitbekommen. Ganz schön verrückt und krank bin ich zeitweise gewesen. Ich habe Menschen, die mir nahe sind bzw. waren beleidigt und verletzt. Ich habe jetzt aber nicht die geringste Lust mich zu entschuldigen. Geschrieben ist geschrieben.
Gute Nacht!