Noch ein paar Zeilen auf der Tastatur, die ich heut aus der Fabrik geholt habe. Der Anschlag ist härter und lauter. Wie geht es euch? So la la? Ich werde mir jetzt ein Glas Johnnie Walker genehmigen – einen anderen Whisky habe ich nicht hier. Prost. Auf euch. Ein rauchiges Tröpfchen, mag ich. Es ist 23 Uhr. Ich lass mich treiben. Meine Finger von den Gedanken führen. Poetisch werde ich nicht sein. Kann ich nicht sein. Vielleicht. Wer weiß. Da muss kein Fragezeichen hin. Schreib so schnell du kannst, ohne groß nachzudenken. Mit dem Denken verwirrst du dich selbst. Was sollte auch sonst verwirren? Bleibst du deiner Linie treu, wirst du stabil durchs Leben gehen. Das heißt nicht, dass du stur sein musst. Scheiß ruhig mal auf deine Prinzipien. Lass neun grade sein. Lach über dich selbst. Das hast du dir verdient. Konntest du als Kind Kind sein? Oder warst du schon immer Beamter? Kannst du heut noch hin und wieder so ausgelassen sein wie früher? Oder bist du es nie gewesen? Warst du nie du? Warst du immer dein Vater? Deine Mutter? Dein Bruder? Deine Schwester? Irgendwann solltest du dich finden. Irgendwann solltest du deine Idole vergessen. Du bist du. Sei frei. Es folgt eines meiner ersten Gedichte, das ich auswendig kann:
Suche dein Ich Suche dein Ich, spüre das Leben, sehe das Licht, versuch zu verstehn. Werde zu dem, der du heute schon bist, gehe den Weg, den du niemals vergisst. Wer bist du wirklich, suche dein Ich, wir sind so göttlich, wie mein Gedicht. Glaub an große Taten, nimm die Träume wahr, du darfst nicht nur warten, handle ganz und gar. Suche dein Ich, spüre das Leben, sehe das Licht, versuch zu verstehn. Die Hand Gottes ist die eigene, wenn du traurig bist, dann weine – weine. Spüre die Träne, suche dein Ich, vergiss nicht die Pläne, und dieses Gedicht. (1991)
Marius und Udo – hätten sie meine Texte und Gedichte von damals aufgehoben, würde es heut ein paar mehr geben. Dennoch liegen hier Hunderte rum. Hier – in diesem Rechner. Wenn mir danach ist, sende ich ab und zu eins mit. Es ist gleich halb zwölf – ich mache für heute Schluss.
Dienstagmorgen, 8.50 Uhr. Sitze unterm Carport. Unter der pinken Decke, dick eingepackt, mit Mütze. Die Zigarre qualmt im Ascher. Der Früchtetee dampft aus der roten Tasse. Beim Nachbarn gackern die Hühner. Vögel zwitschern. Von der B 217 unten hört man die Reifen rauschen. Ab und zu flattert ein Vogel durch den Garten. Die Blätter des Amberbaums leuchten orangerot. Die Buschröschen blühen noch rosa. Meine Füße sind etwas kalt. Der Zug an der Zigarre tut gut. Ich fühle mich gut. Ich fühle mich frei. Ich kann bis 12.30 Uhr tun und lassen, was ich möchte, dann hole ich meinen Sohn von der Schule ab. Es ist neun Uhr – die Kirchturmglocken läuten. Der Himmel sieht aus wie graues Marmor. Was will ich der Welt sagen? Habe ich der Welt was zu sagen? Es ist doch schon so unglaublich viel gesagt und geschrieben worden. Die Gedanken schwirren im Weltraum herum, du musst sie nur auffangen und dran knabbern. Warte auf die richtige Idee. Verwirkliche sie. Mach dich zumindest auf den Weg. Sei sensibel für die Zeichen, die am Wegesrand wahrzunehmen sind. Nur für dich. Geh mit offenen Augen, offenen Ohren und offenem Herzen durchs Leben. Ruf einen alten Freund an, vielleicht dankt er es dir, dass du dich endlich gemeldet hast. Lass dich nicht von den Nachrichten verrückt machen, sei aber interessiert. Es schadet nicht, wenn du weißt, was in der Welt los ist. Lass dich nicht hypnotisieren. Bleib stark. Bleib bei dir. Schau dir deine Hände an, bewege jeden Finger einzeln und freu dich über dieses Wunder. Greif eine Mandarine, entferne die Schale und genieß den herrlichen Duft. Schau in die Ferne. Schau dir die Menschen an, die deinen Weg kreuzen. Wenn du nicht blind bist, bedank dich für dein Sehen. Falls du gerade verliebt bist, lebe das Verliebtsein voll aus. Es lässt wieder nach. Wenn du leiden musst, dient das Leiden seinem Zweck. Jesus hat gelitten. Hast du im Leben noch nie richtig gelitten, weißt du nicht, was es heißt, einen Gott an deiner Seite zu haben. Deinen Gott. Zweifele, aber verzweifele nicht. Nach einem Tief folgt irgendwann wieder ein Hoch. Eine Depression ist nur in den seltesten Fällen chronisch. Nimm Hilfe an. Es ist keine Schande, sich für eine Klinik zu entscheiden. Desto eher bist du wieder auf den Beinen. Bring dich besser nicht um. Du weißt nicht, ob es dann auch ganz zu Ende ist. Glaub, woran du willst. Aber glaub woran. Denn der Glaube hilft. Bilde dir nicht ein, du bist weise. Wer von sich behauptet, weise zu sein, ist ein Narr. Dieses können nur andere Menschen beurteilen. Menschen, die sehen. Sei wachsam. Denk an dein Gewissen, vielleicht nimmst du es mit ins Jenseits. Sehen wir uns wieder? Wer glaubt, hat Glück. Wer weiß, gilt als krank. Ist es so? Mit Wissen muss man umgehen können. Wissen kann dich umhauen. Die Wahrheit kann erbarmungslos sein.
Dein Traum ist mein Traum – Mein Traum ist dein Traum
Ein Geistesdraht führt uns zusammen, wir sind im Sinn verbunden, ich will meine Liebe in deine rammen, so wird mein Herz gesunden. Die Spiritualität hat uns erwischt, wir erkennen die göttlichen Zeichen, und wenn unser Feuer endlich erlöscht, dann werde ich mir dich greifen. Du kannst bis nach Argentinien fliegen, mein Geist hat dir Treue geschworen, unsere Liebe wird jede Entfernung besiegen, wir sind füreinander geboren. Ich habe dich noch nie wahrhaftig gesehen, doch in meinem Traum bist du mein Lieblingsbild, wir müssen uns endlich eingestehen, dass uns dasselbe Licht erfüllt. Wir brauchen keine Worte sprechen, und Briefverkehr ist nicht vonnöten, wir werden in den Kosmos stechen, und unsere Seelen auf ewig verlöten. Wenn ich dich einst gesehen habe, und deinen Körper ergreife, habe ich Angst vor einer Herzensnarbe und dass sie zerreißt, unsere seelische Schleife. Lass uns einfach weiter träumen, bis zu den letzten Tagen, du bist mein Licht hinter Millionen Bäumen, und ich will keinen davon hinterfragen. Ich brenne darauf, dich leibhaftig zu sehen, ich fühle, ich spüre, dass ich dich brauch. Die Sehnsucht lässt den Wind für uns wehen, denn so erfüllt sich der geistige Lauf. Erfass eine Wolke und lass dich schweben, bis du mich im Sturm erkennst, wir sind desgleichen in diesem Leben, weil du mir deine Liebe schenkst.
Ich hoffe, ich nerve euch nicht mit meinen Reimen. Da sie kursiv geschrieben sind, ist es ja ein leichtes, sie zu überlesen. Ich habe so viele Gedichte rumfliegen, dass ich sie nicht mal alle kenne. Sie sind mir völlig fremd. Ich wünsche euch eine schöne und kraftvolle Woche voller Gefühl.
Bis bald
Henning