Die geistige Freiheit

Es brennt leicht in der Kehle, im Magen wird es einem warm. Rauchiger Geschmack. Kaffeemusik. So klingt der Abend aus. Fraitagabend, 22.50 Uhr. Über den Sommer können wir uns nicht beschweren. Den ganzen Tag Sonne, fast 30 Grad. Und wenn wir dazu noch gesund sind, was zu essen und zu trinken haben, sollten wir dankbar sein. Dankbarkeit. Wem soll man eigentlich danken? Gott? Dem Schicksal? Dem Glück? Der Regierung? Unseren Vorfahren? Dafür, dass sie aus Deutschland gemacht haben, was es heute ist? Ja, fleißig sind die Deutschen. Und pünktlich. In der Regel zuverlässig. Ganz genau. Millimetermenschen. Aber wie kann man denn stolz darauf sein, ein Deutscher zu sein? Weil man das Glück hatte, hier geboren worden zu sein? Oder wollte es Gott so? Oder das Schicksal? Die Regierenden sicher nicht. So viel Einfluss hätten sie vielleicht gern. Sie würden ja auch liebend gern Gedanken lesen. Können sie, wenn sie auf diesen Blog klicken. Sehr viele Gedanken finden sie bei Facebook und Co. Ich bin nicht stolz darauf, Deutscher zu sein. Ich schäme mich für meine Vorfahren. Ich will das Leid, dass sie über Erde und Menschen gebracht haben, gar nicht ausblenden. Wir müssen dafür sorgen, dass so etwas nie wieder passiert. Also mit gutem Beispiel voran gehen. Menschen freundschaftlich behandeln. Freundlich sein. Klar gibt es Arschlöcher. Es gibt überall Arschlöcher. Die gibt es aus jeder Herkunft. Und wir alle haben Vorurteile. Jeden Tag. Wie sind deine Gedanken, wenn eine vollverschleierte Frau dir entgegen kommt? Du siehst vielleicht nicht einmal ihre Augen. Oder du siehst einen Mann mit einer Kappe auf dem Kopf und mit einem dunklen Vollbart. Keine Vorurteile? Bist du völlig frei davon? Dann herzlichen Glückwunsch. Du kommst ins Paradies. Du darfst neben Frau Merkel sitzen. Zwischen Gott und Frau Merkel. Du Glückspilz. Die Einzigen, die vollendet frei sind, sind kleine Kinder. So lange sie nicht von den Erwachsenen beeinflusst werden. Egal in welche Richtung. Sobald eine Wertung aufkommt, entwickeln auch sie Vorurteile. Es liegt an uns, welchen Weg sie einschlagen. Wir ebnen den Anfang. Schicken sie auf die Reise. Klar gehen sie irgendwann vom Weg ab, suchen ihre eigene Wahrheit. Muss auch so sein. Erfahrungen sammeln. Warum sollte ich meinem Sohn nicht sagen, dass 10.000.000 Menschen in Afrika auf der Flucht sind? Dass jeden Tag Tausende Menschen verhungern? Dass es Kinder gibt, die noch nie ein Spielzeug in der Hand hatten? Soll ich ihm ewig die heile Welt vorspielen? Viele tun das. Gut. Ihre Sache. Mein Sohn wächst auch behütet und reich an allem auf. Wir können ihm ein totales Lusxusleben bieten. Dass heißt aber nicht, dass er nicht etwa auch große Sorgen hat. Für uns sind es kleine Probleme, für ihn riesengroße. Die sollte man sehr ernst nehmen, sie nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wenn es Gott gibt und wenn er bestimmt, wer in einem reichen Land lebt, wenn er bestimmt, wem es gutgeht, warum hat er aber gerade den oder den ausgewählt? Warum nicht das arme dreijährige Kind, das morgen verhundert ist? Es gibt genug Lebensmittel auf der Welt. Alles würde für alle lässig reichen. Ist es ein Test von Gott? Ob wir es am Ende schaffen, eine komplette Gemeinschaft zu entwickeln? Und wer nicht mitzieht? Es gibt viele, viele Menschen, die in die Kirche gehen, die aus der Kirche kommen und ihre Kinder oder Frauen schlagen. Dann wieder in die Kirche gehen, um ihre Seele zu reinigen. Gott um Verzeihnung bitten, statt ihrer Kinder und Frauen. Verkehrte Welt. Es gibt garantiert immer noch Pfarrer, die Kinder misshandeln. Warum sollte die es heute plötzlich nicht mehr geben? Jedes 17. Kind wird sexuell missbraucht. Noch mehr sind anderen Gewalttaten ausgesetzt. Das steht fest. Schwarz auf weiß. Die Dunkelziffer ist natürlich viel, viel höher. Es gibt wirklich böse Menschen. Die gibt es. Ja, Bosheit kann auch eine Krankheit sein. Manche können bestimmt nicht anders. Wo fängt es an, wo hört es auf? Eiskalte Menschen. Die foltern und morden ohne mit der Wimper zu zucken. In die Kneipe gehen und Witze erzählen. Die Deutschen haben es der Welt gezeigt, was möglich ist. Ich kann nicht stolz sein, Deutscher zu sein. Warum sollte ich? Wie könnte ich?

Montagabend, 21 Uhr

Das Wochenende ist schon wieder vorbei. Ich trinke keinen Whisky mehr. Und keinen Wein. Und kein Bier. Eine neue Diätphase hat begonnen. Ich habe wieder 15 Kilo zugenommen, geht schneller, als man gucken kann. Jetzt sollen es sieben bis acht weniger werden. Ich schlürfe hier meinen Entspannungstee auf der Terrasse, meine Frau sitzt mir gegenüber und bastelt die Einladundkarten für die Einschulung. Ich bin etwas eingeschränkt in meinen Gedanken, sie fließen nicht kreativ und frei. Welche Freiheit ist es denn, die ich erwarte? Sicherlich die geistige. Kann man die hier überhaupt erreichen? Ist sie nicht nur dem Jogi in Indien oder Tibet vorbehalten? Nee, irgendwie gehts auch hier. Zumindest ansatzweise, gelegentlich. Ich kann ja denken, was ich will, nur darf ich es nicht immer aussprechen, was bestimmt auch das Beste ist. Wie viele Menschen würde ich am Tag sonst beleidigen? Ich hätte Feinde in Massen. Viele Gedanken kann ich mit guten Freunden teilen. Aber meine wirklich geistige Freiheit finde ich immer wieder im Schreiben. In der Kunst. Manch einer findet sie im Sport, in der Meditation, beim Joga, bei einem Spiel – klar – beim Sex. Jeder sollte die Chance haben, sich um sich selbst zu kümmern. Zumindest für ein paar Augenblicke am Tag. In sich kehren, den Gedanken wertfrei zuhören. Die Gedanken beobachten, in welche Richtung sie wollen. Sie respektieren. Und jeder, der einem Menschen was Schlechtes wünscht, sollte seine Gedanken hinterfragen. Warum? Warum will ich, dass es diesem Menschen schlechtgeht? Manchmal gibt es gar keinen triftigen Grund. Man ist nur neidisch. Missgönnerisch. Schade, wenn es so ist. Kann sich irgendwer von Neid freisprechen? Vielleicht der Jogi in Indien oder Tibet. Ich bin neidisch auf die erfolgreichen Schriftsteller. Gar nicht auf die Dinge, die sie sich vielleicht leisten können. Sondern auf ihr Können, und natürlich auf die Anerkennung, die sie ernten. Erfolg macht süchtig. Falko war totunglücklich, als er in den USA die Nr. 1 in den Charts landete. Er ist in ein endlos tiefes Loch gefallen, weil er ahnte, dass es nie mehr so hoch geht. Alles danach konnte nur schlechter werden. Sich im Mittelfeld bewegen ist bestimmt nicht das Schlechteste. Aber von seinem Talent leben zu können, ist die große Kunst. Da sind wir wieder bei der geistigen Freiheit, die einem bestimmt behilflich sein kann. Sich auf die Sache zu konzentrieren, zu fokussieren, an der man Gefallen findet. Dran arbeiten, dran glauben, die Steine überspringen oder sie aus dem Weg räumen. Man sollte sich mit guten Freunden treffen, denen man von seinen Ideen und Plänen erzählen kann, ohne dass sie neidisch werden. Man kann vielleicht den einen oder anderen mit ins Boot holen, von seinem Ehrgeiz profitieren. Positive Gedanken reichen ja meistens schon. Jeder Mensch ist sein eigener Unternehmer, sagte schon Novalis. Also mach das Beste draus. Sei dein Unternehmen, mit deiner Seele, deinem Geist, deinem Körper. Im Prinzip hast du nur diese Dinge. Alles andere ist geborgt, du gibst es wieder ab. Lässt es hier. Zurück auf der Erde. Die gesitige Freiheit nimmst du aber mit. Das Gewissen. Ist jedenfalls meine Meinung. Also sei nett zu mir   !