Die Angst

Beinahe hätte der Krieg eine Psychose in meinem Schädel ausgelöst. Vorbeigeschlittert – zum Glück. Dennoch bin ich nicht gefeit. Ich habe gemerkt, wie schnell sich meine Gedanken mit vorherigen Psychosen vermischen können, sobald sie von Stress vereinnahmt werden. Und wenn du den ganzen Tag Nachrichten konsumierst, bist du in Gefahr, erneut verrückt zu werden. Sorge für dich. Leb in deiner kleinen heilen Welt weiter. Das heißt nicht, dass du weltfremd werden sollst. Höre morgens und abends im Radio, was gerade los ist, aber meide, wenn du es schaffst, bewegte Bilder. Beobachte deine Gefühle. Steigerst du dich zu tief in den Krieg hinein und kommst aus dem Sog immer wieder nur sehr schwer heraus, dann lass die Nachrichten Nachrichten sein. Es wirft dich nach hinten, wenn du nicht mehr funktionieren kannst und womöglich in die Klinik musst. Auch wenn du dich mit Freunden triffst, so achte und bestehe darauf, dass es nebenbei auch noch andere Themen gibt, Themen, die gerade jetzt für dich wichtig sind. Mach den Krieg nicht zu deinem Hauptthema. Wenn es hier knallt, dann knallt es richtig. Bleibt der Atomkrieg aus, was wir alle hoffen, setzt schon bald wieder Gewohnheit ein. So ist der Mensch gemacht – er lebt in Ritualen und Gewohnheiten. In meinem Magen herrscht ein dumpfes Gefühl. Es ist keine richtige Angst, das noch nicht. Es ist aber die Ungewissheit, die etwas quält. Das Nichtwissen, was auf uns zukommt. Die Menschen, die direkt im Krieg sind, verspüren die echte Angst. Angst um ihre Familien. Angst, alles zu verlieren. Die Kinder, die flüchten mussten, die nun hier sind, ohne Eltern ganz plötzlich, die verspüren echte Angst. Und die Mütter und Väter, die Brüder und Schwestern. Die sich Liebenden, die von einem Tag zum anderen auseinandergerissen werden. Die Todesangst ist wohl die schrecklichste. Oder die Angst, wenn du in den Lauf der Waffe schaust und neben dir steht dein Kind. Ich weiß es nicht genau. Ich kenne Angst im Verfolgungswahn. Ich kann mich gut an die Angst erinnern, als die Stimmen auf mich eingeschrien haben. Und als ich so tief im Wahn gewesen bin, dass ich mir sicher war, in der Hölle gefangen zu sein. Allein. Jeder, der in die Hölle geht, so wie ich sie erlebt habe, ist für sich allein. Da ist niemand sonst. Wenn es die Hölle wirklich gibt, wovon ich ausgehen muss, ist sie das aller aller Grausamste, was für die Ewigkeit geschaffen wurde. Ja, vielleicht sind meine Gedanken viel zu religiös, viel zu abstrakt, zu fanatisch, zu verbissen, zu verbohrt, zu schwarzseherisch usw. Ich hoffe es für euch alle da draußen. Ich hoffe es für mich. Denn wer sagt, dass ich nicht in die Hölle komme. Ich habe genug Scheiße in meinem Leben gebaut. Belohnt werde ich dafür ganz ganz sicher nicht. Zu recht. Stolz bin ich auf gar nichts, was ich so alles verzapft habe. Ja, auf einiges bin ich sehr stolz gewesen. Jahrelang habe ich um Vergebung gebeten. Jahrelang habe ich gebetet. Und wieso bete ich jetzt schon seit Jahren nicht mehr? Weil alles auf der Welt seine Zeit hat.

In meinem kleinen Zimmer ist es warm. Es ist ganz still. Nur der Laptop summt. Und natürlich ist das Klackern der Tasten zu hören, wenn meine Finger sie berühren. Ich werde jetzt eine Pause einlegen und mit Cupi telefonieren – es ist halb neun am Abend.

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