Der goldene Käfig

Ein wundervoller Tag neigt sich dem Ende. Die Müdigkeit ermattet dich. Was machst du heute Abend noch? Hast du noch etwas vor? Vielleicht auf einen schönen Traum warten? Wie geht es dir? Ich jedenfalls genieße ein Glas Wein, genieße den stillen Abend, genieße es an meinem Schreibtisch zu sitzen und dir zu schreiben. Fühlst du dich angesprochen? Ja, ich meine dich. Fühlst du dich einsam? Bist du einsam? Bestimmt hast du gerade dein Kind zu Bett gebracht, öffnest ebenfalls eine Flasche Wein und setzt dich vor den Fernseher. Zappst durch die Programme. Bist k.o.. Würdest dich jetzt gern austauschen, dich unterhalten, doch niemand ist bei dir. Du erwägst die Möglichkeit, einen alten Freund anzurufen, oder eine alte Freundin. Nein, irgendwie doch nicht. Du sehnst dich nach Liebe. Nach Zärtlichkeit, doch vor allem fehlt dir das Gespräch. Und der Blick in leuchtende, der Blick in verliebte Augen. Dein Mann liegt schnarchend nebenan. Schon seit längerer Zeit habt ihr euch nicht mehr viel zu sagen. Nur noch das Übliche. Kurze, fast schon abgehackte Sätze. Dir wird immer klarer – du verschwendest deine wertvolle Zeit. Du wirst traurig, weil du weißt, du vergeudest dein Leben. Jeden Tag das Gleiche, so kommt es dir jedenfalls vor – und das schon seit Jahren, gar seit Jahrzehnten. Sex? Von beiden Seiten kommt da nichts mehr an. Beide seid ihr faul geworden. Immer die gleichen Serien. Der Tagesablauf ist streng durchgetacktet. Die Termine stehen seit Wochen fest. Nur du selbst kannst etwas ändern. Du selbst bist es gewesen, die in die Einbahnstraße abgebogen ist. Du siehst keine Wendemöglichkeit. Doch eines kannst du tun. Zumindest wenn dir keiner entgegen gerauscht kommt. Gas geben! Durchstarten! Egal, ob die Fahrt mit einem Unfall endet oder du es schaffst um die Kurve zu jagen – es ist ein Neuanfang. Fahr bloß nicht zurück. Fahr nicht denselben Weg zurück. Löse dich. Löse dich von deinen alten Gewohnheiten. Jeder Tag bietet dir mindestens eine neue Chance etwas zu verändern. Ah ja, wenn da nur das schlechte Gewissen nicht wäre. Das schlechte Gewissen deinem Mann gegenüber. Das schlechte Gewissen deinem Kind gegenüber. Ich rate dir: Entweder ihr sprecht endlich Tacheles oder du stürzt dich in ein Abenteuer. Stumpf nicht ganz und gar ab. Das Leben soll doch Freude, soll doch Spaß machen, soll doch spannend und aufregend sein. Ob du dich allein oder zu zweit langweilst, macht keinen wesentlichen Unterschied. Dann verlieb dich halt neu. Ja, meistens hängt eine Menge hinten dran. Der Garten, das Haus, die Einrichtung, die Schwiegereltern, gemeinsame Freunde usw.. Manchmal muss man eben auf alles scheißen, um sich neu zu finden. Starte durch. Du hast in dieser Zeit dieses eine Leben. Bestraf dich nicht selbst. Öffne dich. Sei bereit dich zu verlieben. Bist du bereit, wirst du es tun. Deine Augen beginnen wieder zu leuchten. Deine Freunde sehen dir an, dass du endlich wieder aufblühst. Viel zu viele Jahre hast du verschenkt. Viel zu viele Jahre hast du dich zur Sklavin gemacht, zur Sklavin der langen Weile. Viel zu früh kam das Kind. Viel zu früh der Mann. Wie alt bist du gewesen? Vierzehn? Sechzehn? Und nun? Bist du schon vierzig. Der Fernseher ist dein bester Freund. Schade, das Telefon schon lange nicht mehr. Selbst, dich zu unterhalten, hast du verlernt. Worüber auch? Worüber auch, wenn du nichts erlebst? Über deinen Mann willst du schon seit Jahren kein Wort mehr verlieren. Dein Kind ist zwölf, dreizehn, bald geht es seinen eigenen Weg. Und dann? Hab Mut. Brich aus. Fang endlich an zu genießen. Ich schenk mir noch ein Gläschen nach. Prost. Auf dich! Die Liebe besteht nicht nur aus Arrangements und Kompromissen. Miteinander. Füreinander. Zusammen seid ihr stark. Verplan dich nicht komplett. Überleg dir dreimal, ob du dir eine Eigentumswohnung kaufst. Überleg es dir zehnmal. Denk immer an den goldenen Käfig. Auch wenn er aus purem Gold wäre – gefangen ist gefangen.

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