So ist das Leben (Ein Text zum Nachdenken)

Ein Glas Gin-Tonic, eine Zigarette, die Stille in meinem Haus. Ich genieße sie. Glück hast du, wenn du einen Rückzugsort hast. Wenn du ein Plätzchen besitzt, wo du dich verschanzen kannst – gerade dann, wenn du etwas schreiben möchtest. Gerade ist mir danach, ein paar wenige Sätze hinzukritzeln. Die Wanduhr von 1910 funktioniert wieder tadellos. Sie zeigt fünf nach neun am Abend an. Morgen, am Sonntag, muss ich arbeiten – Senioren benötigen auch an den Wochenenden unsere Unterstützung. Leider habe ich nicht viel Zeit, um mich länger mit ihnen auszutauschen, doch für einen kurzen Plausch reicht es trotzdem meistens. Selbst wenn man für und mit Menschen arbeitet, steht man heutzutage immerzu unter Zeitdruck. Schade eigentlich. Aber so ist nun mal das Leben, man muss es akzeptieren, man muss es annehmen, sonst wird man krank. Derzeit fühle ich mich stabil. Psychisch. Und meinem Körper geht es so einigermaßen. Ab Mai werde ich einen Probemonat im Fitnesscenter absolvieren, worauf ich mich schon sehr freue. Leisten kann ich mir den Beitrag im Anschluss aber nur, wenn Hypnose und Akupunktur funktionieren, die mich beim Nikotinentzug unterstützen sollen. Ihr dürft gespannt sein, auf jeden Fall bin ich motiviert. Ich will keinem mehr etwas beweisen, will nicht mehr versuchen cool und weltmännisch rüberkommen, will einfach ich sein – und das am besten gesund. Mein Traum ist es, 93 Jahre alt zu werden. Diese Zahl ist schon seit Jahrzehnten fest in meinem Hirn verankert. Wer weiß, was es damit auf sich hat. — Ich freue mich tierisch, dass endlich so richtig der Frühling da ist. Endlich kann man lange draußen sitzen, sich leicht bekleiden, grillen, im Garten arbeiten usw. Vielleicht kriege ich es ja auf die Reihe, regelmäßiger spazieren zu gehen. Ach, ich liebe das Leben. Ich liebe mein Leben. Ich liebe es, hier zu wohnen. Ich liebe es, hier mit meiner Familie zu wohnen. Was für ein riesengroßes Glück wir doch haben! Inzwischen kann ich sogar sagen, dass ich Hannover liebe. Wahrscheinlich liegt das daran, weil ich so selten hinkomme. Doch wenn ich da bin, mag ich die Stadt – zumindest einige Bezirke bzw. Stadtteile. Natürlich besteht noch immer der große und unrealistische Traum, in Linden eine kleine Schreibwohnung mein eigen nennen zu dürfen. Aber wer weiß – würde ich dort mehr schreiben? In meiner Vorstellung selbstverständlich viel mehr. Nach wie vor sehne ich mich nach einem Arbeitsweg, so, als führe ich in mein Büro, um dort mein täglich Brot zu verdienen. Ach, wie schön wäre es, müsste meine Frau nicht mehr ganz so viel arbeiten … Wir geben beide unser Bestes. Ich weiß nicht, ob ich es jemals ganz und gar akzeptieren werde, dass ich mit meiner Schreiberei kein Geld verdiene – im Gegenteil -, bis heute habe ich nur draufgezahlt. In großen Teilen bin ich natürlich selbst schuld. Und vielleicht sind meine Sachen wirklich zu schlecht für einen Verlag. Oder zumindest würden sie sich nicht gut genug verkaufen lassen. Was ich aber glaube, ist, dass es auch mit meiner Krankheit zu tun hat. Dass einige Verleger evtl. schon gern wollten, aber Angst haben, ich könnte sie blamieren. Mir würde es ja reichen, wenn ich meinen Sohn in Sicherheit wüsste. Wenn ich mir kurz vor dem Tod nicht noch Sorgen zu machen bräuchte, ob er gut durchs Leben kommt. In Leichtigkeit würde ich gern sterben. Aber wer würde das nicht gern! Ich denke viel zu viel an mich selbst. Wie vielen Menschen geht es schlechter als mir. Sie sind im Krieg, leben in ständiger Angst, verdursten, verhungern, werden gefoltert, hingerichtet … Ich kann es nicht ändern. Was ich tun kann, ist einen kleinen Beitrag zu leisten. Freunden z.B. beim Renovieren ihrer Wohnung zu helfen. Oder beim Umzug. Oder mit ein paar wenigen aufbauenden Worten. Hier ein paar Euro, da eine Obdachlosenzeitschrift kaufen, freundlich und zuvorkommend sein, nicht beleidigend werden – und mich nicht mehr so wichtig zu nehmen. In meinen Psychosen glaubte ich, Jesus zu sein. In meinen Psychosen glaubte ich, ich müsse die ganze Welt retten. Ich bin Gott gewesen. Natürlich möchte ich auf diese Erfahrungen niemals verzichten – meine Krankheit ist wahrscheinlich eine der interessantesten, die es weltweit gibt. Manisch zu sein ist herrlich. Depressiv zu sein ist doof. Ich kenne es, über ein Jahr lang keine sozialen Kontakte zu haben. Ich kenne es, bei zugezogenen Vorhängen an nicht viel anderes zu denken, als daran, dass es einfacher wäre, nicht mehr zu existieren. Ich kenne es, Stimmen zu hören, die ich mir eingebildet habe. Ich kenne zu gut, viel zu gut Paranoia. Ich kenne Todesängste. So ist das Leben. Ja, so ist manchmal das Leben. Keinen Drogenrausch misse ich. Und doch sollten Schüler gewarnt sein, die viel zu früh mit dem Konsum beginnen. Gerade wenn sie noch im Wachstum sind. Gerade dann, wenn sie psychisch vorbelastet sind. Wenn zu Hause so vieles beschissen läuft – und sie die Droge zur Flucht missbrauchen – so wie es bei mir der Fall gewesen ist.

Denkt ein wenig über diesen Text nach.

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