Sei gut zu dir

Die Wanduhr von 1910 steht still. Die einzigen Geräusche in meinem kleinen Schreibzimmer verursachen der Laptop, mein Kauen von Käse und Weintrauben, die Tasten, mein Atem. Diese wundervolle Stille tut so gut. Allein zu sein tut gut. Für sich zu sein tut gut. Jedenfalls dann, wenn du den ganzen Tag unter Menschen gewesen bist. Ich liebe den späten Abend. Ich liebe es, auf den nächsten Satz zu warten. Ich kenne ihn oft nicht, bevor ich ihn schreibe. Ganz plötzlich ist er da. Es ist, als setzt er sich wie von allein auf den Monitor oder bestenfalls auf den Bogen Papier. Plötzlich steht er fest. Der Punkt ist gesetzt. Das Schöne am Schreiben ist, dass du es allein bewerkstelligen kannst. Du brauchst auf niemand Rücksicht zu nehmen. Du musst keine Verabredungen treffen. Du bist auf keinen anderen Menschen angewiesen. Schreiben kannst du beinahe überall. Und solange du nur für dich selbst schreibst, ist es auch egal, was du schreibst. Denn bist du im Wahn, denn schreibst du im Wahn, kann es geschehen, dass manche Menschen, die deine Briefe bekommen, nie wieder etwas mit dir zu tun haben wollen. Gar verbreitest du Angst. Deswegen sei auf der Hut. Geh vorsichtig und sensibel mit deinen Worten um. Ich schreibe aus Erfahrung. Bei einigen Menschen habe ich mir durch das Schreiben viel zu vieler Worte den Kontakt verwehrt. Schade – es hätte so schön werden können. Nicht immer bekommst du eine zweite Chance. Eine dritte und vierte schon gar nicht. Wenn du auch noch dazu wahnsinnig in den Empfänger verliebt bist, ist es ganz vorbei. Überleg dir genau, wie du ihn umgarnst. Beziehst du noch Menschen aus seinem Umfeld mit ein, hat deine letzte Stunde geschlagen. Für eine Entschuldigung ist es zu spät. Akzeptier den Verlust. Neue Menschen treten in dein Leben. Wenn du den gleichen Fehler allerdings vermehrt wiederholst, solltest du dich besser nur auf dich selbst fokussieren. Dann schreib nur für dich. Lies gegen. Drück nicht auf „Senden“. Kleb keine Marke auf den Umschlag und steck ihn keinesfalls in den Briefkasten. Tu es nur, wenn du dir absolut sicher bist und einige Tage drüber geschlafen hast.

Ich bin müde. Ja, abends ermüdet mich das Konzentrieren. Es ist halb elf. Noch ein Schlückchen Wein. Noch eine Zigarette. Vielleicht noch zwei, drei Sätze? Oft überkommt es mich wie aus dem Nichts und ich schalte aus. Manche Menschen fehlen mir. Manche weniger. Manche überhaupt nicht. Manchen Menschen fehle ich. Ich weiß. Geht raus und lernt neue Menschen kennen. Trauert nicht. Schaut nach vorn. Da vorne geht euer Leben weiter. Vergangen ist vergangen.

Die Welt ist voller Wunder. Der Mensch an sich ist ein Wunder. Wir können denken. Wir können bereuen. Wir müssen einen Fehler nicht wiederholen, und tun es trotzdem so häufig. Die Wanduhr tickt heute Morgen wieder um halb neun. Sie ist sensibel, muss haargenau justiert werden, sonst bleib sie stehen. Das Uhrwerk ist äußerst empfindlich. So empfindlich wie Millionen von Seelen, die stets gepflegt werden müssen. Pflege auch du deine Seele. Versuch nicht die Zeit zu überholen, auch die Uhr braucht sechzig Minuten für eine Stunde. Ich werde sogleich einen ausgedehnten Spaziergang machen, dabei einen Podcast hören und abtauchen in die Welt von Lanz und Precht. Ach schade, es regnet gerade jetzt, also warte ich noch eine halbe Stunde und schreibe ein paar Sätze. Geht es dir gut? Was hast du heute vor? Vielleicht hast du frei, so wie ich. Dann gönn dir ein paar entspannte Stunden. Setz dich bloß nicht unter Druck mit Dingen, die nicht so wichtig sind und warten können. Bevor du deinen Verpflichtungen nachkommst, tank an der frischen Luft Energie. Du wirst sehen – neue Gedanken entstehen. Gedanken, auf die du sonst nicht gekommen wärst. Schau in die Natur. Hör den Vögeln zu. Beobachte die Insekten. Bleib stehen, halt inne, spür den Wind auf deiner Haut. Sei freundlich zu dir. Wenn es dir gelingt, lass für einige Minuten deine Gedanken los. Sperr sie in eine Schatztruhe und lass die Truhe am Waldrand stehen. Auf dem Rückweg kannst du sie wieder öffnen. Lächele dir zu. Hast du dann noch immer Zeit für dich, schreib in dein Tagebuch. Mach dich nicht verrückt. Ich bin sehr froh darüber, dass ich derzeit sosehr auf dem Teppich bin, nicht abhebe, keine Größenideen habe. Wenngleich ich Kurt Krömer zwei meiner Bücher zugeschickt habe, bin ich sicher, dass dies nicht aus dem Affekt heraus geschehen ist. Der letzte Podcast mit Kurt und Steffi hat mir zu denken gegeben. So viele Menschen leiden an Depressionen, so viele Menschen müssen lernen, mit ihrer Psyche umzugehen. Seid gut zu euch. Es ist nicht wichtig, wieviel Geld du auf dem Konto hast, viel wichtiger ist, dass dein Kopf dir keine Streiche spielt. Fülle ihn mit positiven Gedanken, wenn du kannst. In einer depressiven Phase ist dies natürlich kaum möglich. Dann versuch aus dem Loch herauszukrauchen, wechsele die Perspektive, verlass den Ort, wo du dich in deinem Kummer gerade aufhältst. Geh ein paar Schritte rückwärts. Ertrink nicht im Alkohol und versink nicht im Drogenrausch. Such dir einen Therapeuten. Lass dich auf die Warteliste setzen, ein Jahr geht so schnell vorüber, warum sollte es dir gerade in einem Jahr gutgehen? Weiche Scharlatanen aus, lass die Kasse deine Therapie bezahlen. Ich persönlich traue ausschließlich Therapeuten, die die Psyche über Jahre studiert und sich selbst einer Therapie unterzogen haben.

Sonst bleibt mir noch zu schreiben, dass ich euch einen schönen Wochenstart wünsche.

Liebe Grüße

Henning

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