Kaputtes Wochenende

Es ist Samtagabend, 21 Uhr. Ich komme heut den ganzen Tag nicht richtig durch. Fühle mich matschig und habe mir erst mal einen Tee „Klarer Geist“ gekocht. Vielleicht trinke ich später noch ein Glas Wein, wenn ich zu klar bin, aber das weiß ich noch nicht. Ich bin zu kaputt, um hier einen sinnvollen Text hinzukriegen. Ich schreibe trotzdem. Ist es ein Zwang, unbedingt schreiben zu wollen? Das Gefühl, schreiben zu müssen? Ich denke schon. Ich versuche jeden Tag zu schreiben. An dich und dich und dich. Noch letztes Jahr schrieb ich ne Menge Briefe an zwei Freunde, selten kam ein Brief zurück, aber wenn, habe ich mich riesig gefreut. (Ich weiß, dass ich mich wiederhole) Ich müsste in jedem Fall mal wieder die Remington in Schwung bringen, damit die Tasten geschmeidig bleiben oder wieder geschmeidig werden. Sie steht bestimmt schon drei Monate still. Die Contessa noch länger. — Mir kam die Idee gestern (die Idee kam mir schon öfter, aber gestern seit längerer Zeit mal wieder), dass ich gerne auf dem Rockliner, den Udo mit seiner Panikfamilie chartert und übers Meer tuckert, eine Jack Daniel’s-Lesung inszinieren würde. Drei Sets Lesung, drei Sets Musik, nicht von Udo, sondern irgendwas schönes Akustisches. Wenn ich Udo treffe, frage ich ihn, was er davon hält.

Ich habe mir vorgenommen, morgen zu laufen. Besser, schnell zu gehen. Am Vormittag. Ich stopfe mir zurzeit so viel Scheiß rein – alles an Süßigkeiten, was ich im Haus finde. Und dazu noch Unmengen von Nudeln und Soße und – ach, alles Mögliche. Heute kann man sich ja Udo gut als Vorbild nehmen. Oder Karl Lagerfeld – zumindest was die Figur, die Ernährung und dazu den Ehrgeiz angeht. Ich krieg die Kurve nicht. Wenn ich unausgeglichen und unzufrieden bin, fresse ich. Wenn ich müde bin, auch. Wenn ich Hunger habe und dazu noch schlapp, bin ich nicht zu ertragen, dann halte ich mich selbst nicht aus. Da hilft nur fressen, fressen, fressen. Um dann noch deprimierter zu sein. Darauf ein paar Gläser, irgendwann gehts dann wieder. Ein ätzender Kreislauf. Wie werde ich richtig fit? Die Medis muss ich nehmen, da führt kein Weg dran vorbei. Ich muss die gesamte Ernährung umstellen, kein Zucker, abends keine Kohlenhydrate, genug Vitamine, kein Alkohol, zumindest weniger. Und Sport. Ich weiß es ja, aber noch ist der Kick nicht da. Noch hat es im Kopf nicht richtig Pling gemacht. Wie toll muss es sein, wieder rennen zu können! Oder Seil zu springen! Liegestütze! Den Deister unangestrengt hochlaufen! Und der Geist muss ganz, ganz klar sein. Wie schön kann das Leben dann sein! Ja, glaube ich wirklich. Ist auch so oft schön genug, aber körperlich bin ich ein Wrack. Warum inspiriert Alkohol den Geist so dermaßen? Warum macht Alkohol so kreativ? Und warum macht er so kaputt? Warum ruiniert er den Körper – und ja, auf die Dauer auch den Geist? Naturbreit bin ich natürlich auch gelegentlich, gerade dann, wenn ich meine Hochs, meine seelischen Orgasmen habe. Was wäre denn, wenn ich ein ganzes Jahr nichts trinken würde? Wie würde ich mich verändern? Schade, ich werde es wohl nie erfahren. — Ich könnte ja jetzt mal einen Test machen. In diesem Augenblick könnte ich mir eine Flasche Wein holen, ein Glas trinken, abwarten und schauen, was ich zu schreiben habe. Soll ich das mal tun? Ja, ich gehe jetzt runter …

Da bin ich wieder. Schalte jetzt das Radio ein und warte mal ab. — Fünf Minuten später. Der Wein schmeckt mir heute nicht. Der Tee bekommt meinem Gaumen besser. Was will ich eigentlich? Falschheit? Totale Echtheit? Kann ich denn überhaupt noch total echt sein? Ich meine, der Medikamente wegen, die meine Gefühle eindämmen. Die mein Denken beeinflussen. Was ist denn Echtheit? Was ist denn Wahrheit? So, das waren jetzt drei Schlucke Wein und schon schreibe ich anders. Schneller in jedem Falle auch. Die Musik geht mir auf den Sack. Poppermucke hätte man früher gesagt. Ich lese gerade „Dorfpunks“ von Schamoni. Bestseller gewesen. Ehrlich, ich finde meine Sachen nicht schlechter. Aber wie sprunghaft meine Themen jetzt sind. Das passt alles nicht. Es ist ja so, dass ich in den letzten Tagen ziemlich ausgeglichen gewesen bin. Keine sonderlichen Hochs, keine bemerkenswerten Tiefs. Damit bin ich nicht so ganz einverstanden. Die Hochs fehlen mir, diese grade Linie ist nicht ganz so mein Fall. Aber ich könnte diesen Zustand auch gut nutzen, glaube ich. Den neuen Roman z.B. objektiver betrachten. Übrigens brauche ich noch einen Titel. In den nächsten Tagen schreibe ich euch mal, worum es geht. Vielleicht fällt ja jemandem etwas Passendes ein.

So, ich klinke mir jetzt meine Medis ein und … keine Ahnung. — Bin deprimiert. Soll natürlich nicht heißen, dass ich gleich in eine tiefe Depression falle. Mich kotzt es an, dass ich so wenig Ehrgeiz habe, dass ich so schlecht meinen inneren Schweinehund überwinde. Lange vor einer Grenze gebe ich auf. Liegt es daran, dass ich schon so viele Grenzen überschritten habe? Das ist Quatsch. Wäre die billigste Ausrede. Man kann sich alles schön reden. Man kann alles für sich so darstellen, dass man gut bei weg kommt   .

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