Ich genieße gerade die Ruhe hier draußen. Hätte eine Stunde Zeit, einen Text fertigzustellen. Ruhe und Stille, Zeit und Inspiration – das sind die Dinge, die ein Autor braucht. Und natürlich einen Stift, eine Schreibmaschine und Papier – oder einen Rechner, der die Arbeit erleichtert, wenn man sich drauf einlassen möchte. Selbst Bukowoski hat mit über sechzig noch an manchem PC-Kurs teilgenommen und darüber geschrieben, wie sehr ihm so ein Ding die Arbeit einfacher macht. Und das in den 90er Jahren, als sie noch regelmäßig abgestürzt sind. Für mich ist dieser Laptop mehr oder weniger eine Schreibmaschine, die einfach zu bedienen sein muss, da ich von Technik nicht viel verstehe. Zum Glück hilft mir Alex bei allen Einrichtungen und Problemen per Fernwartung.
Ich merke, dass ich immer näher an das Buch „Block“ rücke. Ich denke, ich bin kurz davor loszulegen. Bock habe ich auf jeden Fall drauf. Ruhe und Zeit werden bestimmt bald kommen, auch wenn heut mein erster Arbeitstag gewesen ist. Die Dement-Erkrankten, die seit drei Monaten zu Hause sind, sind ganz unsicher, verwirrt, können sich nicht mehr an die Einrichtung erinnern. Ich habe Angst gesehen, und die Masken, die sie tragen müssten, schieben sie sich natürlich von der Nase. Wer will es ihnen übel nehmen. Widererwartens haben mir die ersten Stunden gut getan. Mir bereitet es Freude, mit den Senioren zu arbeiten, mein Team ist freundlich – jeder und jede von ihnen weiß um meine Krankheit. Trotzdem würde ich mich gern für ein Jahr befreien lassen, um an „Block“ arbeiten zu können. Ich setze noch immer auf die Leseprobe, die zu schreiben ist – und auf 10.000 Euro Vorschuss eines Verlages. Um das Geld zu bekommen, muss alles stimmen: Das Anschreiben, das Exposé, und die 30 Seiten, die es in sich haben und Neugrierde erwecken müssen. Es sollten keine Rechtschreib- und Zeichenfehler im Skript sein. Alles muss im Zusammenhang stehen, die Spanunng muss herausstechen. Es kommt auf den ersten Satz an, der Lektor oder die Lektorin sollte das Material nicht mehr aus der Hand legen können, dann hat man eine geringe Chance, dass es weitergereicht wird. Als Schreiber sollte man nie denken, ich glaube, dass mein Kram sowieso nicht angeschaut wird – Agenturen und Verlage brauchen Stoff. Gute Chancen hast du auch mit einem ansprechenden Drehbuch, dafür musst du einen Produzenten finden. F25 wäre interessant, wenn es gut genug als Drehbuch verfasst wäre. Nach „Block“ vielleicht das nächste Projekt.
Es ist jetzt zehn Uhr, um elf werde ich meinen Sohn von der Schule abholen. Jetzt mache ich erst einmal Schluss – bis später.
Kurz nach halb neun am Abend.
Die Stille ist noch immer da, das Glas Whisky steht neben dem Laptop, die ZIgarre glimmt im Ascher, wenn ich sie nicht zwischen den Fingern oder den Lippen strecken habe. Die Spatzen, Drosseln und zwei Ringeltauben fressen sich mit Körnern voll. Mein Rücken schmerzt etwas, vor allem die Schultern und der Nacken. Der Himmel ist hell blauweiß, jedenfalls im Westen. Von 17.00 Uhr bis 17.50 Uhr habe ich mit meiner Therapeutin telefoniert, ich hab sie vollgeschwallert, wie beschissen es teilweise gerade geht. Dass ich mich nicht disziplinieren kann, nichts für meine Gesundheit tue, nicht in Schwung komme, weder körperlich noch geistig. Sie sagt, durch Bewegung entsteht Bewegung, ist ja nichts Neues, aber wenn ich nicht anfange, dann wird das nichts mit einem kraftvollen Buch. Prost. Der Whisky ist gut, ein Geburtstagsgeschenk, sechzehn Jahre alt, Single Malt Scotch Whisky. Ich hab echt ne Macke. Die Macke, zu glauben, dass Zigarre und Alkohol zum Schreiben dazu gehören. Die Macke, zu glauben, ich bräuchte eine Schreibwohnung, in der ich rauchen kann, um richtig arbeiten zu können. Aber Leute – das glaub ich wirklich, das glaub ich sogar zu wissen. Wie oft hab ich euch davon schon vollgeschrieben! Wenn ich so weitermache, hab ich, wenn es gut läuft, noch zwanzig Jahre, falls ich nicht vorher dement oder andersweitig bescheuert werde. Zwanzig Jahre, in denen ich für euch Geschichten und Gedichte schreiben könnte. In zwanzig Jahre ist ne Menge drin. Gebt mir ein Zimmer und etwas Geld. Schenkt mir Zeit. Gebt mir 15.000 Euro im Jahr und eine Absteige in Hannover, wo ich rauchen kann. Dafür gebe ich euch alles, was ich kann. Meine ganzen Ideen, meine ganze Fantasie, mein Können und mein Talent. Ich tu nicht viel für die Welt, aber ich könnte sie noch etwas bunter machen. Protagonisten und Schauplätze erfinden – aus meiner Seele könntet ihr lesen. Ist ja egal, ob sie dreckig ist oder nicht. Es gibt ja Menschen, die glauben, eine saubere zu haben. Sogar eine reine. Aha. Mit solchen Menschen komm ich nicht klar. Ich liebe den Blues und den Rock n Roll. Prost. Ich liebe die Stimmen der Schwarzen. Ich liebe die Stimmen, die verraucht und versoffen klingen. Ich mag tiefe Stimmen. Ich sehne mich zwar nach Klarheit – aber im Grunde sagt das Dreckige viel mehr aus. Der Schmerz. Das Leiden. Danke, dass ich leiden durfte. So weiß ich immerhin, was Freude ist. Hast du schon mal richtig gelitten? Gings dir schon mal so richtig schlecht? Dann hast du Glück gehabt. Dann wurdest du auf die Probe gestellt. Es bleibt dir dann nur, deine Kraft wiederzufinden. Hast du schon mal allen Glauben verloren? Ihn hinter dir gelassen? Dich nicht mehr umdrehen können, um zu sehen, was davor war? Die Zukunft? – Aussichtslos. Du fängst an zu saufen und nimmst Drogen. Schlitterst immer tiefer in die Scheiße. Fuck. Leiden ist gut, sag ich euch. Das größte Leid entsteht durch Liebe. Wer nicht gelitten hat, wird die wahre Liebe nie kennenlernen. Die Liebe, für die du sterben würdest. Schmerz. Vielleicht muss die Frau deswegen solche unbeschreiblichen Schmerzen bei der Geburt erleiden, damit sie ihr Kind so tief und innig lieben kann. Ich weiß es nicht. Kannst du wirklich einen Gott lieben? Jemand, den du noch nie gesehen hast. Kannst du zwar behaupten, aber abnehmen kann ich es dir kaum. Du behauptest, du liebst Gott, fickst aber kleine Kinder, oder vergewaltigst Nonnen. Prost. Du behauptest, du liebst Kinder, lässt sie aber krepieren, sobald sie auf der Welt sind. Lässt sie verhungern. Ich schenk mir noch einen ein. Whisky hat eine besondere Wirkung, anders als Wein oder Bier. Der leichte Rausch scheint klarer zu sein. Scheint. Jean hat mich heut gefragt, obs mir nicht gut geht. Ich hab ihm noch keine Antwort gegeben, weil die Frage gar nicht so leicht ist zu beantworten. Manche Minuten gehts mir gut, manche nicht. Jetzt gehts gerade. Ja, ich fühl mich okay. Habe Zeit und schreibe. Und rauche und trinke Whisky. Sitze in der Natur, die Vögel zwitschern. Kann den Abend ausklingen lassen. Es ist noch nicht spät – 21.19 Uhr. Meine Frau hat sich gerade zu mir gesetzt, mit der neuen „Landlust“. Sie strahlt. Unser Sohn schläft, natürlich mit bei uns im Bett. Das ist so ziemlich das Schönste, was ich erleben darf, wenn ich hochgehe und er liegt da ganz friedlich. Meine Frau redet natürlich zwischendurch mit mir, schriebe ich jetzt am Roman, wäre das nicht möglich, ich könnte zusammenpacken. Die Schwalben fliegen hoch, früher gab es viel mehr. Heut wissen sie nicht mehr, was sie fressen sollen, du erwischt ja mit deinem Wagen kaum noch einen Schmetterling. Schwalben hab ich schon immer gern beobachtet, als Kind stellte ich mir vor, ich wäre eine von ihnen und habe sie mit meinem Blick verfolgt. In einer meiner Psychosen glaubte ich, ich hätte die Lunge einer Schwalbe, so kraftvoll und ausdauernd konnte ich rennen. Und jetzt? K.O. Fett gefressen. Angetörnt. Prost. Ich liebe es, hier zu sitzen, schaue meine Frau an, erfreue mich an ihrem freundlichen Wesen, an ihrer klaren Stimme, an ihrer vollen Liebe, zu mir, zur Welt. Wir langweilen uns nicht, es gibt immer was zu erzählen. Wie war der Tag? Gehts dir gut? Ja oder nein. Sie hasst den Zigarrengeruch, verabscheut ihn regelrecht, setzt sich trotzdem zu mir, nimmt den Kopfschmerz in kauf. Ich mach jetzt Schluss. Klöne noch eine halbe Stunde und verabschiede mich dann bis morgenfrüh.
Gute Nacht