Alles im Widerspruch

Du erreichst nicht unbedingt die innere Ruhe, wenn es draußen ganz ruhig und still ist. Trotzdessen kann es zerren an Herz und Seele – oder in Herz und Seele. Äußere Ruhe kann verrückt machen. Der Austausch zwischen Menschen ist das Wichtigste und Wertvollste, das wir haben. Durch das Gegenüber kannst du dich selbst sehen – dich reflektieren.

Ich finde derzeit überhaupt nicht richtig zur Ruhe. Fühle mich getrieben, gezogen, beeile mich bei Dingen, die viel mehr Zeit hätten. Ich glaube mich zu erinnern, da gab es Zeiten, in denen ich fast nur geschrieben habe – ganze Tage und halbe Nächte durch. Hinzu ist gekommen, dass ich sonst tagsüber immer am Kreativsten gewesen bin – jetzt scheint es eher auf den Abend überzuwechseln. Die besten Stunden, um als Autor arbeiten zu können, kann man sich wohl nicht immer aussuchen. Man muss nehmen, was kommt. So habe ich mir heute Abend, es ist Sonntag halb elf, den Klapptisch aufgestellt und unters Carport gesetzt. Klar – die Zigarre glüht, der Wein mundet. Aber da ist auch immer der Druck, der zurzeit ständige Begleiter. Er sagt, mach hin, du musst ins Bett, die Nacht ist um halb sechs zu Ende, du musst zur Arbeit, und denk an die ganzen anderen Dinge, Termine … Schade, dass mir so unglaublich viel durch die Lapen geht. Ich weiß, jeder kreative Mensch, der von seiner Kunst nicht leben kann, kennt diese Probleme. Verdienst du genug Geld, kannst deine Familie ernähren, hast du Zeit genug, um alles rauszulassen, was in dir schlummert – dann ist es wie bei einem Schläfer, der auf Knopfdruck sofort mit seiner Mission beginnt. Es ist längst alles in ihm, es muss nur wachgemacht werden. Ein Anruf reicht. In unserem Fall ein Scheck. Ich weiß, ich darf mich wirklich nicht beklagen, es ist eine Schande Millionen armer Schluckern gegenüber, wie priveligiert ich hier leben darf. Aber darum geht es nicht als Künstler. Da zählt der Materialismus gar nichts. Ist scheißegal, was du für ne Karre oder Fahrrad fährst, ob du in einem Zimmer oder in fünfen lebst. Es geht nur noch um Zeit. Um Freiheit. Umso mehr Besitz du zu zählen vermagst, umso unfreier bist du. Umso mehr hast du zu tun. Die Kreativität kannst du dir dann abschminken. Leute, ich brauch ne Million, oder zwei. Jedenfalls so viel, dass ich mich um nichts anderes als um das Verfassen von Texten kümmern muss. Dann darfst du dich auch Schriftsteller nennen, vorher im besten Fall Autor, Hobby-Autor, Schreiber … Idiot. Möchtegern. Angeber. Schlaumeier. Aha. Jaja, klar. Mich schmerzt es, wenn ich daran denke, wie viele Geschichten in mir sind, die nur darauf warten, erzählt zu werden. So viele Menschen wissen nicht wohin mit ihrer Kohle, sie raffen und raffen, sparen und sparen, und dann kratzen sie ab und der Staat kassiert. Erbschaftssteuer, und gibt es keine Erben, auch gut, reibt sich die Regierung erst recht die Hände.

Mir gehts körperlich nicht so ganz gut. Übergewicht, zu hoher Blutdruck, kurzes Atmen, Knieschmerzen, Nackenschmerzen – ach, überall ziept es. Zwanzig Jahre Psychopharmaka. 35 Jahre Nikotin. Alles wird schwieriger, dauert länger, macht schneller müde – mich jedenfalls. Wenig Kondition. Prost! Ich nehm die ganze Scheiße mit ins Grab. Ich glaube, in zehn Jahren bin ich nicht mehr in der Lage, ganze Romane zu verfassen. Ein Mensch, der immer klar ist, nicht raucht, nicht trinkt, weder Medis schluckt und Fleisch frisst, stattdessen Sport treibt, sich gesund ernährt usw hat da viel bessere Chancen. Aber so einer bin ich nicht. Ich glaube, werde ich auch nie sein. Ich brauche immer mal wieder den Kick. Nicht den Glatten, nicht nur den Orgasmus, nein, den Dreckigen, den Durchsoffenen und Durchrauchten, den Durchtriebenen, den Manischen und den Traurigen. Den Hochflug, den Abgrund. Das ist meiner Meinung nach Leben. Leben ist nicht, immer auf derselben Schiene zu fahren, und am besten noch ohne Erhöhungen und Tiefen in der immer selben Geschwindigkeit. Auch beim Schreiben brauch ich den Kick. Den Dreckigen. Gerade den. Klar lese ich gern Hesse, aber doch lieber Hemingway. Und selbst der ist ziemlich sauber. Miller. Bukowski sowieso. Celine. Djian. Jder von ihnen hat seinen Stil gefunden – allesamt können sich getrost Schriftsteller nennen – auch wenn nur noch einer von ihnen lebt. Auch dieses ganze glatte Verlagswesen ist kaum zu ertragen. Jaja – alles im Widerspruch. Ich liebe auch 5 Sterne-Hotels und wie zuvorkommend man dort bedient wird. Ich liebe Fernsehshows und das Radio. Und schimpfe über die GEZ, weil wir bewusst so dermaßen verarscht werden mit Schwachsinn, der so behämmert ist, dass man nur noch kotzen und zuschlagen will. Oder meinen die Schlageraffen das wirklich ernst, was sie singen? Ja, wahrscheinlich. Es geht um Sex Sex Sex. In jedem Schlagerhit fast. Ums Fremdgehen, ums Betrügen. Scheinwelt. Aber es gibt sie ja. Sie ist da. Und wird bis zum Erbrechen gefeiert. Überall in Deutschland. Schöner Spaß.

Ich mach jetzt Schluss – ihr wisst ja. Machts gut

Henning

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