Ziehe mich runter

Freitag, 6.00 Uhr

Noch viel zu müde. Sofort zieht es mich zu meinem Schreibtisch hin. Kriege kaum meine Augen auf. Möchte viel lieber klar und ausgeruht sein. Mit dem Roman „weg“ geht es nur schwerlich voran. Komme nicht so richtig aus dem Quark. Guten Morgen! Drei Zigaretten. Zwei Tassen Kaffee – Frühstück. Jetzt die dritte Tasse. Was wird der Tag bringen? Was wird das ganze Jahr auf Lager haben? Bleiben wir gesund? Keiner weiß es. Glück oder eben nicht. Wie stehen die Sterne? Gar nicht. Im All ist alles in Bewegung. Nicht vorstellbar die Entfernungen. Mein Gott, bin ich müde. Antriebslos. Muss gleich ein bisschen raus an die Luft. Mit meinem Sohn über den Markt schlendern. Currywurst und Pommes verspeisen. Ich schaue hinaus in eine graue Wolkenwelt. Gähne. Rauche. Trinke Kaffee. Die Nacht war schon wieder viel zu kurz. Seit halb sechs bin ich auf. Bald wieder Zeit für ein Nickerchen. Der Haushalt muss aber noch erledigt werden. Zu tun ist immer was. Wie komme ich zu mehr Energie? Stütze meinen Dez ab. Denke nach. Raufe mir das Haar. Schiebe die Brille zurecht. Deprimierende Minuten. Etwas Sonnenschein würde gut tun. Der Tannenbaum steht noch wunderschön geschmückt im Wohnzimmer. Geschenke liegen keine mehr drunter. Alles verpufft. Strecke mich. Muss jetzt aktiv werden, sonst ist der Tag gelaufen. Bis später.

Samstag, 16 Uhr 45

Hänge in einem düsteren Loch. Ich denke, es liegt daran, dass ich davon ausgehe, keine Literaturagentur zu finden, die sich meiner annimmt. Inzwischen, nach 33 Jahren des Schreibens, müsste ich doch abgebufft sein. Wird es im Alter noch schlimmer? Ich habe das Gefühl, dass jede Absage schmerzlicher wird. Mich mehr runterzieht. Jeder Esoteriker würde mir jetzt weismachen wollen, es läge an meinem Zweifel. Er würde mir empfehlen, Bücher von ihm zu kaufen. Viele Bücher. Am liebsten würde ich jetzt schreiben: Fick dich! Also gut: Fick dich! Absatz.

Aber ehrlich gesagt denke ich wirklich darüber nach, nach langer Zeit mal wieder über das Positive Denken zu lesen. Wie ich mich jedoch kenne, landet das Buch nach spätestens drei Seiten im Mülleimer, weil ich mir einbilde, die ganze Scheiße, die dort beschrieben wird, zu kennen. Und schon über Jahre hinweg gelebt zu haben. Also würde ich jetzt gerne schreiben: Leck mich am Arsch. Mach ich mal: Leck mich am Arsch! Absatz.

Wie arm ist es denn, in einer solchen Zeit, beinahe nur an sich selbst zu denken? Wie arm bin ich denn im Geiste? Anstatt mich zu bewegen. Anstatt etwas Sinnvolles zu tun. Tausende von Flüchtlingen (leben) zusammengepfercht in riesigen Hallen und sind froh, dass sie nicht frieren müssen. Dass sie gerade nicht mehr auf der Flucht sind. Dass sie nicht hungern müssen. Dass ihre Familie in Sicherheit ist. Eines Tages wird es uns nicht besser ergehen. Ich glaube, eines Tages ist ein Krieg in Deutschland unausweichlich. Russland ist wütend.

Und dann? Die meisten von uns können nicht flüchten. Warum nicht? Weil sie zu wenig Geld haben. Jaja, ich ziehe mich selbst runter. Ab und rein ins Loch. Tiefer und Tiefer. Bis zum Grund. Immer wieder höre ich: Das wird nicht passieren. Nicht in Deutschland.

Wie blind und taub sind wir denn bitteschön? Und wie selbstsicher? Und vor allem, wie eingebildet? Fickt euch, ihr Wichser, die denken, wir Deutschen sind was Besseres. Wir sind nicht Besonderer als der Rest der Welt.

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