Wer bist du?

Herrlich!

Es ist zwanzig nach sieben. Keine Wolke, der Himmel strahlt heute Morgen beinahe türkis. Ich sitze auf meiner Terrasse, rauche eine Zigarette und genieße einen Earl Grey ohne Zucker. Gestern wurde ja doch das Italienspiel und nicht das Spanienspiel im Fernsehen gezeigt. Und leider sind die Kroaten so gut wie ausgeschieden. — Die Schwalben tanzen schon unter dem Türkis. Vogelgezwitscher rund um mich herum. Ein Eichhörnchen hat auch schon Guten Morgen gesagt. Ich habe mich ein paar Sekunden mit ihm unterhalten. Die Schwalben kreischen. Eine Krähe krächzt. Elstern regen sich laut über eine Katze auf. Eben konnte ich den Mond noch sehen – das kalte emotionslose Ding. Die ersten Bienen summen fröhlich über den weißen Klee. Heute wird zumindest der Rand der Wiese abgemäht. Wie elegant sich doch die Schwalben treiben lassen, obwohl man hier unten keinen Windhauch spürt. Die Sauerkirschen leuchten mich vehießungsvoll an. Eine dicke Hummel sitzt auf einer Blüte und will sich von mir streicheln lassen. — Heute ist noch eine Menge zu tun: Wäsche waschen, Wiese mähen, zur Tischlerei fahren, staubsaugen. So, der Vormittagsplan steht somit geschrieben. Heute Abend geht es zur Arbeit. Heute Nachmittag bekommen wir Besuch. Mein Sohn schläft noch ruhig und selig. Wenn er aufgestanden ist, werde ich ihm ein wundervolles Frühstück kredenzen. Die Spatzen suchen nach Futter – schon lange habe ich keine Körner ins Vogelhäuschen gestreut. Heute gehen sie mich nichts an. Silberfische werden getötet – ich ekel mich vor ihnen. Motten und Silberfische haben in unserem Haus keine Lebensberechtigung. Ebenso wie Mücken. Zum Glück bin ich kein Buddhist. Sonst würde ich im nächsten Leben als widerliches Insekt geboren werden. Da ich aber kein Buddhist bin, erwartet mich etwas Anderes, etwas Fremdes, etwas Unvorhersehbares. Ich liebe mich. Ich liebe mein Leben. Ich liebe DAS Leben. Komm – noch eine Zigarette. Seit zweieinhalb Wochen weder Zucker noch Weizen noch Alkohol. Heute hat die Waage 107,0 angezeigt. Sechs Kilo sind weg. Wen interessiert das schon? Jeder hat sich um sich selbst zu kümmern. Jeder hat seinen schweren oder leichten Leib mit sich herumzutragen. Du kannt ihn schleppen, oder dich von ihm tragen lassen. So langsam kommt die Kraft zurück. Die ersten Tage der Diät waren hart. Zuckerentzug. Der Alkohol juckt mich nicht. Und auf Brot, Kartoffeln, Nudeln und Reis kann ich gut und gerne noch länger verzichten. Wenn du nicht gezwungen wirst, ist hungern geil. Hunger zu spüren, nach der ewigen Sättigung. Vollgefressenes Schwein. Ein Strich in der Landschaft will ich werden. Größe XL. — In den nächsten Minuten werde ich umswitchen auf den Roman. So werde ich in meinem kleinen Zimmer daran arbeiten. 52 Seiten sind es schon. Gestern habe ich eine Menge geschrieben und dazu 50 Seiten gelesen. Der Ekel ekelt mich an. Ich kann mir nicht vorstellen, zurzeit leichte Kost zu lesen. Das Gehirn will gefordert sein. Morgen fahre ich in die Stadt und besuche meine LIeblingsbuchhandlung in Hannover. Ach, ist das Leben herrlich. Ja, ich spare mit Ausrufezeichen. Ich spare mit Worten. Ich quäle mich nicht mehr so sehr. Leckt mich am Arsch. Fühlt ihr euch von mir beleidigt, lest nicht weiter!!! Ha! Geht es euch auch so gut wie mir? Nächste Woche geht es für ein paar Tage an die Ostsee. Und eine Woche später mit meinem Sohn in die Schweiz zu Dan. Vieles scheint gut zu laufen – gestern und heute. Und morgen? Keine Ahnung. Ich schaue dem Ganzen optimistisch entgegen. Trink du deinen Kaffee. Rauch du deine Zigarette. Lesen inspiriert. Ich werde jetzt frühstücken.

09 Uhr 36

Die nächste Zigarette. Der nächste Kaffee. Ich war fleißig, habe den Wiesenrand abgemäht. Es ist noch genug Klee für die süßen Bienen stehengeblieben. Der Kaffee ist gut. Die Zigarette kickt. Die alte Raucherlunge hat gut zu tun, ich will sie nicht vernachlässigen. Sie wäre ja doch nur beleidigt. Ebenso das Hirn, welches das Dopamin so sehr braucht. Der leichte Rausch, der mich kreativ werden lässt. Zu kiffen bringt mir nichts. Ich verpasse Zusammenhänge, verflüchtige mich in eine Welt, die nichts mit Literatur zu tun hat. Manch einer mag es, vor dem Prozess zu kiffen. Manch einer mag es, bei Musik zu schreiben. Streiche ich ein Zimmer, tut mir Musik allerdings gut. Ist schon schlimm genug, die schreckliche Malerarbeit. Ich versuche sie zu umgehen. Bin ich eben nicht erreichbar. Für niemanden. Lass das scheiß Telefon klingeln. Endlos. Endlos wie das Leben. Denkste. Denkste falsch. Das Klingeln hört eher auf als das Leben – wenn du Glück hast – oder Pech. Die Sonne knallt auf den matten Tisch, so bleibt der Kaffee länger heiß. Auf nüchternden Magen Kaffee und Kippe. Jeden Morgen. Immerwährend. Bis die Sargnägel reingeschlagen werden. Mein Sohn hat mir Tabak ins Pflegeheim zu bringen. Oder gute Zigarren. Rum. Whisky. Zum Genuss. Süchtig bis zum Lebensende. Na und? Geht euch nichts an. Was geht euch eigentlich was an? Was mich angeht, nichts. Kümmer dich um dich selbst. Du hast genug mit dir selbst zu tun. Ich hacke und hacke. Ohne nachzudenken. Es fließt. Ja, es fließt endlich wieder. Und warum? Weil ich wieder begonnen habe zu lesen. Endlich, endlich, endlich. Lesen, schreiben, lesen schreiben. — Gib mir deine Kohle. Her damit. Dann würde ich mehr schreiben. Dann würde ich mehr lesen. Kohle her, und Ruhe im Karton. Du interessierst mich nicht. Ich interessiere dich nicht. Nur im Anflug von zu vielen Gedanken, vielleicht von zu verrückten Gedanken. Verrückt? Ja, du. Ich nicht. Zurzeit nicht. Ich rede mir ein, ich würde es merken. Ich rede mir ein, rechtzeitig die Zügel anzuziehen. Komm – noch ne Zigarette. Kette. Kettenraucher kommen in den Himmel. Ich liebe dich nicht.

Und die nächste Zigarette. Und der nächste Kaffee. Ich bin müde, habe Zuckerentzug. Zum Glück wird man vom Rauchen nicht fett. Von schwarzem Kaffee auch nicht. Gerade kotzt mich so einiges an. Aber das geht euch nichts an. Ihr würdet euch nur freuen. Ich will keine Freude bringen – heute nicht. Nie wieder. Stimmt nicht. — Ein heißer Wind ist aufgekommen. Er bläst sanft über den Garten, bringt den Sonneschirm zum Quietschen. Wie kann man das Geräusch beschreiben, welches die Elster aus sich herauswürgt? Versuch es mal. Und gib das Wort an mich zurück. Der Rasenmäher wartet darauf, zurück in den Schuppen geschoben zu werden. Mach ich später. Die blöde Sau. Die Kabel müssen verstaut werden. Mach ich später. Ich muss staubsaugen, bevor der Besuch hier auftaucht. Mach ich später. Wäsche muss ich noch waschen. Mach ich auf jeden Fall auch noch. Schweißdurchtränkte stinkende Klamotten. Widerlich. Aber sie duften ja nach dem Waschen so angenehm. Zudem sind noch Wannen voller Wäsche nach oben zu tragen. Puh. Ätzend. Zigaretten drehen geht gut, geht fantastisch, geht hervorragend. Kaffee machen, auch. Der Besuch wird nicht absagen. Mütter, die kommen. Sie glotzen uns von oben bis unten an. Schauen sich im Garten um. Meckern innerlich. Wenn es gut läuft. Sperrmüll, alte Räder, Farbeimer und anderer Kram sind auf dem Wertstoffhof zu entsorgen. Mach ich irgendwann. Ich müsste eigentlich schlafen. „Eigentlich“ ist ein Scheißwort. Man müsste es verbieten. Man müsste ein neues Gesetz erlassen. Eigentlich. Merkt man, dass ich genervt bin? Ja, von dir. Von dir bin ich genrevt. Und das, obwohl ich nicht mal weiß, wer du eigentlich bist. Eigentlich. Ja, wer bist du denn? Frag dich selbst. Du hast einen Namen. Du fühlst dich, wenn es gut für dich läuft. Und trotzdem weißt du nicht, wer du bist. Bist du Jesus? Bist du Gott? Bist du Luzifer? Ja, du bist der Teufel. Du bist der reichste Mann der Welt. Sporn dich an. Kotz dich aus. Ich höre den Milan kreischen, sehe ihn aber nicht. Jetzt sehe ich ihn doch. Aber es ist überhaupt kein Milan. Wahrscheinlich ein Mäusebussard. Aus dem türkisen Himmel wurde ein kräftiges Blau. Da oben sind drei weiße Wölkchen. Ein Wunder. Ein Wunder. Ein Wunder.

Die Seiten füllen sich wie die Bons an der Kasse. Scheißjob. Da brauchste Nerven wie Drahtseile. Hab ich nicht. Sollte lieber an der Kasse sitzen. Ich schicke den ganzen Scheiß jetzt in die große weite Welt. Viel Spaß noch!

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