Ich komme tatsächlich soeben von einem Spaziergang. Es erscheint mir wie ein Wunder. Und das im Regen! Mir ist, als habe sich über Nacht ein Schalter umgelegt und den Schleier der Depression weggeschoben. Die Erkältung ist auch fast weg. Es gab während des Gehens sogar ein paar Augenblicke, da habe ich mich ganz leicht gefühlt. Wie früher – wann immer das auch gewesen sein mag. Egal wie grau die Himmelsdecke auch ist, dahinter scheint die Sonne. Meine vielen Depressionen kann ich kaum auf das Wetter schieben. Natürlich ist mir ein strahlend blauer Himmel lieber, aber selbst bei 20 Grad plus und schönstem Sonnenschein gerate ich oft in den niederschmetternden Strudel des Nichts. Soeben habe ich mir einen Zuckerschock verpasst: Selbstgebackene Kekse meiner Frau und zwei Gläser Orangensaft.
Jetzt ist es 20 Uhr, und mir geht es noch immer gut. Mir ist nicht bewusst, dass es für den Umschwung einen Auslöser gegeben hätte. Dennoch wage ich mich noch nicht an BLOCK ran. Ab Mittwoch kommt mich mein Freund Alex für drei Tage besuchen, ab Montag beginnen für meinen Sohn die Winterferien, das heißt, dass ich die nächsten drei Wochen kaum in die Ruhe finden kann. Nun hoffe ich, dass mich der gute Zustand durch die Winterzeit trägt.
Montag, 8 Uhr
Die Kraft ist noch da. Ich warte auf die ersten Sätze. Eine halbe Stunde nehme ich mir Zeit.
Dienstag, 20 Uhr 15
Der Knoten könnte tatsächlich geplatzt sein. Drei gute Tage liegen hinter mir. Mir ist es sogar gelungen, ein paar Seiten am Roman zu schreiben. Ich fange schon wieder von vorn an. Doch dieses Mal ist das Gefühl während des Schreibens anders. Irgendwie besser. Zuversichtlicher. Kurze knackige Sätze springen hervor. Anscheinend gibt es bei diesem Mal einen Rhythmus, den es braucht. Nach zwei Jahren der Entbehrung habe ich wieder begonnen etwas zu lesen. Ganz leichte Kost für den Anfang. Bukowski und Fante habe ich mir aus dem Regal gezogen. Ich kenne kaum jemand, der kürzere Sätze als Fante schreibt. Er bringt es kurz und knapp zum Punkt. Hätte ich die Erfahrung von heute früher gehabt, sähen meine Bücher anders aus. Lieber eher einen Punkt setzen. Bloß keine verschachtelten Sätze, die man mehrmals lesen muss. Nicht zu viel Gefühl. Mit ausreichend Abstand die Figuren betrachten. Ihnen trotzdem den Atem mit auf die Reise geben. Sie zum Leben erwecken. Sie so sprechen lassen, wie man spricht. Zwei Jahre sitze ich nun schon an BLOCK. Und mehr als 50 Seiten sind es nicht geworden. Und wieder fange ich ganz von vorn an. Ich brauche Zeit. „Genieß es doch“, sagt meine Frau. Ja, ich will es versuchen. Ich werde mir die nötige Zeit nehmen. Das Buch steht in meinem Kopf. Ich muss nur die Zeilen herausziehen und sie setzen. Lange hat es gedauert, bis ich mir über den Stil dessen klargeworden bin. Größtenteils werde ich mir Obszönitäten sparen. Ich will mir völlig bewusst über jedes Wort sein. Kein Zeichen möchte ich dem Zufall überlassen. Jedes Zeichen soll genau dort hin, wo es hinpasst. Natürlich muss ich ein Gefühl zu meinen Figuren aufbauen. Doch ich bin der Käpten. Und der Steuermann. Und die ganze Mannschaft. Ich entscheide über Leben und Tod in meiner Geschichte. Ich habe die Macht über meine Fantasie. Jederzeit kann ich das Steuer in eine andere Richtung reißen. Je öfter ich die Richtung wechsele, desto spannender wird es für alle Beteiligten. Das Schönste beim Schreiben ist stets die Überraschung. So sollte es in jeder Kunst sein. Erschaffst du Kunst, erlernst du wieder das Staunen. Überrasch dich selbst. Verharre nicht.