Donnerstagvormittag, 10 Uhr bei einer Cohiba vorgeschrieben – Donnerstagabend, 20 Uhr bei einem Glas Dornfelder abgeschrieben – Freitagmorgen, 10 Uhr bei einem Pfefferminztee zu Ende geschrieben.
Guten Abend Udo!
Wenn ich mich recht erinnere, habe ich 1998 zum ersten Mal Kontakt zu dir aufgenommen. Ich schrieb dir, ich könne den Damenhut in den Trend der 20er/30er Jahre führen. Ich legte ein paar Aufnahmen von wunderschönen Hüten meiner damaligen Freundin bei, die Modistenmeisterin ist. Noch heute bin ich der Überzeugung, dass sie damals die schönsten Damenhüte der Welt anfertigte. Sie liebte ihren seltengewordenen Beruf und dies spiegelte sich in ihren eigen entwurfenen Kreationen wider. Ich hoffte auf deinen guten Namen oder eine Finanzidee.
In selbiger Zeit muss ich dir auch ein Buch mit handgeschriebenen Gedichten, in bunter Tinte verfasst, zugeschickt haben. (Ich hätte es wirklich so gern zurück, es waren viele meiner ersten Gedichte). Auch das Skript des völlig verwirrten Hörbuchs „Die Weisheit der Welt“, das ich in wenigen Tagen total zugekifft geschrieben hatte, ließ ich dir zukommen. Ich gab’s im Atlantic an der Rezeption ab. Bei diesen ganzen Zuschickaktionen und Übergaben war ich entweder gerade hypomanisch, manisch oder sogar psychotisch. Meine Hoffnung lag darin, dass du mich unterstützt, damit ich meine Kreativität frei ausleben könne.
Mit 14, 15 habe ich angefangen, mit Begeisterung deine Platten zu hören. Marius hörte ich schon etwas länger. Beide traft ihr mich mit euren ehrlichen Texten ins Herz. Meine tiefere Liebe gehörte aber lange Zeit Marius, später allerdings auch mein voller Hass. Ich erinnere mich gerade an ein Konzert in den 90ern von dir. Es fand im Kuppelsaal in Hannover statt, alle Musiker trugen weiße Anzüge. Du sagtest, Hannover sei eine unheimliche Stadt. Viele Fans brachten einen Lacher hervor, ich nahm es ernst. Schließlich wohnte ich in Hannover, und vielleicht hattest du ja tatsächlich Angst vor mir, dachte ich. Ich hatte dir so ein krasses Gedicht zugesandt, in dem der verrückte, fanatische Fan den Rockstart erschießt. Und du wusstest, da lebt so n total verrückter Psychotiker in Hannover, der Marius und dir ständig Mist zuschickt.
1998 wollte ich für eine Nacht ein Zimmer im Atlantic mieten, bekam es aber nicht, nachdem ich meinen Namen genannt hatte. „Nein Herr Taube, Sie bekommen hier kein Zimmer“, war die unumstößliche Aussage des Portiers. Aber da ich inzwischen der Messias war (es war die Zeit des Offenen Lauschangriffs), war ich sicher, alles habe seinen Sinn und du hättest in und über ganz Deutschland Sender, Wanzen und Kameras installieren lassen, um mich zu beschatten und immer auf dem Laufenden zu sein, wie weit ich gerade auf meinem Weg zum absoluten Weltfrieden bin. So marschierte ich Tage und Nächtelang durch Hamburg und Hannover, auf der Autobahn und auf Zugschienen entlang, immer in der Gewissheit, du bist ganz nahe bei mir. Dir entging kein Wort, denn die Wanze trug ich im Schuh, na klar. Ihr Künstler habt auf mich gewartet, du allen voran.
2001 rief ich im Hotel an und wollte dich sprechen. „Guten Abend, mein Name ist Henning Taube. Ich möchte gern mit Herrn Lindenberg sprechen.“ – „Ja, was möchten Sie denn von Herrn Lindenberg?“ – „Ja, ich habe Paranoia und Herr Lindenberg kennt bestimmt einen guten Psychiater.“ – „Warten Sie bitte einen Moment.“ Etwa zwei Minuten vergingen. „Hallo?“ – „Ja?“ – „Herr Lindenberg möchte nicht mit Ihnen sprechen.“ „Ja, gut … Danke …“ Nicht mal zwei Minuten später klingelte mein Telefon. „Herr Taube?“ – „Ja?“ – „Hier Polizeidirektion Hamburg. Sie wollten mit Herrn Lindenberg sprechen. Was wollen Sie denn von ihm?“ – „Ähm, ich habe starke Paranoia und Herr Lindenberg kennt doch bestimmt einen guten Psychiater … Oder soll ich morgen lieber wieder arbeiten gehen?“ (Ich hatte gerade einen Job). „Ja, gehen Sie dann morgen lieber wieder arbeiten.“ Ich war bis ins Mark getroffen. Udo hatte Angst vor mir. Er glaubte tatsächlich, ich könne so verrückt wie der Lennonmörder sein. Tiefer hätte er mich nicht treffen können. Mehr Enttäuschung ging nicht. Er hatte mich bei der Polizei verraten, obwohl ich um Hilfe schrie. (Ich will beim Du bleiben und nicht in der 3. Person schreiben. Aber wäre ich bei den letzten Sätzen beim Du geblieben, würde es nach Vorwurf klingen, das soll es nicht). Jedenfalls ging die Paranoia weiter. Kameras, Wanzen, Sender, nicht von dir, sondern vom Vatikan, von Satan, der mich töten wollte. Ich rief einen Notarzt, der mir eine Spritze zum Einschlafen verpasste, obwohl ich um eine Einweisung in die Psychiatrie bat. Am nächsten Tag beging ich meinen Suizidversuch. Ich hielt die Stimmen nicht mehr aus, die mich auslachten und fertig machten.
Du warst in meinen Psychosen immer ein Magier. Passend der Hut und die schwarzen Klamotten. Und na klar, ein Detektiv, der immer wusste, wo ich mich aufhielt. Wir beide waren die Nr. 1, wir würden die Welt retten. Marius hätte es sein können, sein müssen, aber er glaubte nicht an mich und an das Unmögliche. So ubernahmst du die Rolle, die eigentlich Marius von der höchsten Macht zugedacht war. Ein paar Mal noch schickte ich dir Songtexte oder ein Manuskript zu. Ein klein wenig Hoffnung war geblieben, dass ich durch dich einen Verlag fände. Ich glaube, es war 2003 (ganz sicher bin ich mir nicht), kam das Manuskript „Im Wahn der Zeichen“, das damals noch „Größenwahn“ hieß vom Verlag Hoffmann und Campe zurück. Es heftete eine edle weiße Visitenkarte vom Atlantic dran. Ich war gerührt, du oder wahrscheinlich eher einer deiner Leute, hatte das Skript weitergeschickt. Es war unwichtig, dass es eine Absage war.
In den letzten Jahren besuchte ich ein paar Konzerte von dir. Als die Platte „Stark wie Zwei“ rauskam und ich das erste Mal „Mein Ding“ hörte, fühlte ich mich sofort persönlich angesprochen. Es hat mich total umgehaun. Ich glaubte, ich hätte dich beeinflusst. Ich konnte nicht ahnen, dass das Lied dein größter Hit werden würde und sich Zehntausende direkt angesprochen fühlten. „Und jetzt kommst du aus der Provinz, wenn auch jeder sagt, du spinnst, du wirst es genauso bringen!“ Werde ich! Ich werde der berühmteste Schriftsteller der Welt. Es braucht nur noch etwas Zeit.
Und jetzt lese ich gerade das Buch von Benjamin: UDO FRÖHLICHE und lese, dass du wirklich für Jeden ein Ohr hast. Vielleicht nicht für mich. Vielleicht werde ich mich nie in die Raucherlounge des Atlantic trauen. Vielleicht würde man mir auch den Zutritt verwehren. Es wäre auch möglich, dass ich viel zu schüchtern bin, um mit dir ins Gespräch zu kommen. Schade. Ich wäre zutiefst getroffen, würdest du sterben und ich wäre dir nie persönlich begegnet. Wir müssen doch die Erde heile machen!
Du hast mich auf jeden Fall getroffen, ein paar Mal mitten ins Herz !