Schreiben ist meine Freiheit!

Ich kann schreiben, denke ich. Denken andere auch. Viel zu viele Armleuchter sind unterwegs in der Szene. Grauenhaftes Gestümper. Ich habe zum Glück nichts mit der Szene zu tun, mit der Literaturszene jedenfalls nicht. Nee, mit gar keiner Szene, lieber bin ich für mich allein an meiner Maschine und einem Glas. Oder auch auf der Terrasse bei einer gut gerollten Zigarre aus Kuba oder Südamerika. Meine Frau ist mir ein angenehmer Gesprächspartner, mehr brauche ich meistens nicht. Meistens. Manchmal schon. Da sehne ich mich nach Abwechslung, nach Leuten, mit denen ich gern zusammen bin, es sind auch ein paar dabei, die schreiben. Na ja, ehrlich gesagt nur einer: Jean Coppong. Früher war ich mit vielen Künstlern zusammen, damals, als ich selbst noch Künstler war und meine Arbeiten auf Kunsthandwerkermärkten verschachert habe. Ich war richtig stolz, solche Leute zu kennen. Es war ein gutes Lebensgefühl, dabei sein zu dürfen. Schlendere ich heute über einen Kunsthandwerkermarkt, tun mir die meistens Künstler leid. Vor allem die, die es draufhaben. Sie bekommen oft nicht einmal die Standmiete rein. Und neben ihnen steht jemand mit selbstgestrickten Socken und Topflappen. Und verkauft womöglich noch besser, weil es Billigware ist und er oder sie nicht von leben muss. Er oder sie kann noch lächeln. Der alte Künstler nebenan sieht verbraucht aus, er hat sein Lebtag getrunken, geraucht und gearbeitet. Und irgendwie, irgendwie überlebt. Er weiß selbst nicht so genau, wie er das geschafft hat. Und einige Jahre liegen ja auch noch vor ihm, er kriegt hundert Euro Rente, wenn es hochkommt. Es gibt auch diese Möchtegern-Abgefahrenen-Langhaar-Freak-Künstler, die existieren und stinken. Lange Haare sind wichtig. Verfilzt müssen sie sein, stinken müssen sie. Sie sind oft die größten Spießer von allen. Von Allen! Ich habe einige kennen gelernt, wirklich. Manch einer fasst nicht mal ne Windel an. Manch einer putzt sich viermal am Tag die Zähne. Manch einer kriegt ne Krise, wenn ein Stück Fleisch bei ihm im Kühlschrank landet. Ökonazis. Künstlerfaschos. Künstler fühlen sich als etwas Besonderes. Sie stehen über den Dingen. Manche sind etwas besonderes – ich zum Beispiel. (Habe ich von Bukowski geklaut …) Aber Bukowski war ja wirklich ein Genie. Wer mit 16 anfängt zu lesen, sollte Charles lesen, wer kurz vor seinem Tod im Krankenhaus vor sich hinsiecht, sollte ihn erst recht lesen. Hemingway kann da schon mehr runterziehen. Ich werde demnächst Ginsberg versuchen, über den Bukowski immer mal wieder schreibt. Bukowski meint, Celine war einer der größten. Manche mögen ihn nicht lesen, weil er ein Nazifreund war. Das hat aber nichts mit seinem Schreibstil und seinem Können zu tun. Man sollte einfach nur darauf achten, wie er geschrieben hat. Ich werde mich für einen Roman, den ich als wohl über oder überübernächsten schreiben werde, inspirieren lassen. „Tod auf Kredit“ heißt er, steht bei mir zu Hause und wartet sehnsüchtig darauf, gelesen zu werden. Na ja, ihm ist es ehrlich gesagt scheißegal. Der, der wartet, bin ich, sonst niemand. Harter Brocken. Harte Schrift. Scheiß auf alle, da ist Buk ein Waisenknabe gegen. Henry Miller auch. Henry Miller ist nicht ganz so leichte Kost, finde ich. Es gibt ne Menge, Menge Bücher, die mir zu schwer sind. Zu langweilig. Die ich nicht verstehe. Ich war Hauptschüler, dass ich überhaupt so schreiben kann, wie ich heute schreibe, grenzt an einem Wunder. Schreiben hat mir immer Freude bereitet, Diktate, Aufsätze, alle anderen Fächer fand ich völlig überflüssig, nichts hat mich interessiert, reine Zeitverschwendung, sonst nichts. Klar bin ich heute froh, dass ich etwas rechnen kann. Aber sonst ist nichts hängengeblieben. Bei uns sind Stühle und Tische während des Unterrichts aus dem zweiten Stock geflogen. Lehrer haben geheult und sind zum Nervenarzt gerannt. Sie wurden angeschrien und bedroht. Heute soll es ja noch viel extremer sein. Also, wenn ich meine Lesungen in Schulen mache, ist es immer still, sie hängen an meinen Lippen, die Lehrer sind ganz erstaunt, zwei Schulstunden lang so ruhige und interessierte Schüler zu sehen. Die Fragen sind meistens ziemlich gut und überlegt. Egal, ob Hauptschüler oder Gymnasiasten, da gibt es kaum Unterschiede. Unter 300 Euro lese ich nicht mehr. Ich hab Jahrelang umsonst gelesen, hab mich aussaugen lassen, mach ich nicht mehr. Wäre ich Bestsellerautor, könnte ich 500 Euro verlangen. Jörg Böckem kostet zum Beispiel so viel, oder inzwischen noch mehr, hab lange nichts von ihm gehört. Allerdings habe ich noch keine einzige Lesung für 300 Euro gemacht. Ab jetzt schon. 300 oder eben gar nicht. Sollen die Wahnsinnigen noch wahnsinniger werden, ist mir egal. Die Patienten werden eh immer jünger und verrückter. Mit zwölf fangen viele an zu kiffen, ich kann es ja nicht verhindern, aber ich kann ein paar Augen öffnen. Was schreibe ich hier eigentlich heute Abend? Eigentlich wollte ich nur ein paar Sätze übers Schreiben schreiben. Wie so oft. Ich werde demnächst mal wieder die „Literaturtankstelle“ bei Decius langschlendern und gucken, was es so Neues auf dem Markt gibt. Ich habe auch gar keine Ahnung von Underground-Literatur, ich glaube, ich bestellte mir mal eine Zeitung aus der Szene. Man sollte auf dem Laufenden sein. Ich gehe sowieso wahrscheinlich viel zu selten zu Lesungen, bin mehr auf meinen eigenen als auf anderen. Was weiß ich. Zu Flenter würde ich mal gehen, Autor aus Hannover. Poetry-Slam ist ja riesengroß angesagt, war ich vor zwanzig Jahren zum letzten Mal, auch zum einzigen Mal. Lust zu lesen hätte ich da schon. Komme ich da überhaupt einfach so rein? Da wollen ja heutzutage alle lesen. Nee, die lesen da schon oft gar nicht mehr, die kennen ihre Texte alle auswendig, viele rappen. Man kennt sich untereinander. Von denen kommt auch kein einziger zu meinen Lesungen, obwohl sie in etlichen Zeitungen beworben werden. Ich meide sie, sie meiden mich. So ist das eben in Szenen. Entweder man gehört dazu oder man soll besser wegbleiben. Wer ist eingebildeter? Die Szene? Oder ich? Oh Mann, mich kotzt dieses Getue an. Diese Wichtigmänner, ja, meistens sind es männliche Wesen. Wenn es sein muss, auch mit Schlips und Kragen. Muss aber nicht sein, aber trotzdem, und dann sitzt der Anzug auch noch beschissen. Pech gehabt, wenn du es selbst nicht siehst. Was soll das überhaupt? Ich sitze hier in Amerika, draußen regnet und stürmt es, meine Frau puzzelt, mein Sohn und meine Schwiegermutter schlafen, und ich … Wisst ihr was? Ich gehe jetzt zu meiner Frau rüber. — Jetzt bin ich wieder hier. Puzzeln beruhigt. Ich habe meine Frau gerade gefragt, ob es auch Porno-Puzzles gibt. Würde ich schön finden, denke ich gleich an die Kommunen in den Sechzigern und Siebzigern zurück, da lag also dieses verfickte Puzzle auf dem Tisch und jeder hat mitgemacht, beim Puzzeln und bei allem anderen auch. Manche Zeiten waren einfach wunderbar frei. Nicht für alle, klar, aber für viele schon. Heute gibt es immer noch sexuell freie Leute in Massen, soll man gar nicht für möglich halten, nicht wahr, aber da sind wir wieder bei den Szenen. Sex, Drugs und Techno oder so. Es ist noch nicht einmal zehn Uhr am Abend. Ich habe also noch zwei Stunden vor mir. Vielleicht gehe ich gleich noch mal raus und setze mich in den Sturm, mal sehen. Ich schenke mir einen ein, Hunger habe ich auch, ne Banane tut’s. Ich sitze im Kaminzimmer, im Speisebereich an einem wunderschönen Holztisch, zwei Regale voller englischer und deutscher Bücher, Fotos vom Strand an den Wänden. Lasst mich drei Monate hier und ich schreibe einen ganzen Roman von vorne bis hinten. Meine Schwiegermutter meint, ich würde mich nach meiner Familie sehnen. Ja, würde ich tatsächlich, aber ganz ehrlich, für ne Million würde ich drei Monate hier schreiben und das beste Buch würde zustande kommen. Hier ist Ruhe angesagt, totale Stille, das Meer gleich in der Nähe, das wunderschöne Licht, der Wind, alles … Ich fühle mich frei, frei, frei. Ab in den übernächsten Liquar-Store, Zigarren kaufen, die es da in Massen gibt (drei fette Humidore) und Whisky Hektoliterweise. Nur zum Rauchen und Spazierengehen ab nach draußen. In der Sommersaison wäre ich auch gern einmal hier für einige Wochen. Mit den Jungs raus aufs Meer, angeln, dann grillen, dann am amerikanischen Leben teilnehmen. Wer weiß, was noch alles so kommt in den nächsten Jahren. Einsam wäre es hier schon über den Winter, aber sicherlich auch ein Erlebnis. Herbst, Winter, bis Weihnachten und dann nach Hause. Was fehlt, ist Geld. So ist es eben. Meine Frau muss arbeiten, ich muss mich um meinen Sohn kümmern, ihn zur Schule bringen, Hausaufgaben machen, kochen, was weiß ich. Das Schreiben kommt zu kurz. Könnte meine Frau zu Hause bleiben, besser gesagt, bräuchte sie nicht zehn Stunden zu ackern, wäre die Freiheit größer. Da kann mir auch niemand was erzählen von, Freiheit hat nichts mit Geld zu tun. Gut, sagt es mir ein freier Mensch, verbessere ich mich vielleicht. Ich kenne einen, der lebt von 450 Euro im Monat im Camper. 450 Euro hätte ich im Monat, sogar mehr. Aber ich habe ein anderes Leben gewählt, ein Leben, in dem ich für meine Familie Verantwortung übernehme. Ich will für meine Frau und meinen Sohn da sein und Zeit haben. Das heißt aber nicht, dass ich im Jahr nicht für drei Monate zum Schreiben woanders hinfahren würde, ganz sicher nicht. Komm, Verlag, du findest diesen Text hier so geil, dass du mir sofort einen Scheck zuschickst. Vorschuss für Mucho Guscho. Es gibt ganz glar zu viele glatte Schriftsteller, die sich anpassen. Man muss aus der Rolle fallen, gegen den Strom schwimmen, auf manche Dinge scheißen, frei sein in seiner Meinung. Frei sein in seinen Äußerungen und Sätzen, schreibe so, als sei deine Mutter tot. Habe versucht, so zu schreiben, als könne sie meine Sachen lesen, Jean Coppong hat ne Lebenskrise gekriegt, hat gefragt, ob das mein Ernst ist. Man darf als Gott auch mal „Ficken“ sagen. Alle Götter sind sexsüchtig. Jedenfalls die Schriftstellergötter. — So, habe mir eine Flasche Canadian Club gekauft statt eines guten amerikanischen Whiskeys. 14,99. Probiere ihn jetzt pur. Na ja, geht so, aber geht, ziemlich scharf, nee, geht nur mit nem Schuss Cola. Schade, hier gibt es so viele feine Sachen in Glasvitrinen für über 100 Dollar die Flasche. Ich gehe jetzt an die frische Luft für ein paar Minuten, mir den Wind um die Ohren hauen lassen, ich glaube, es regnet gerade nicht. Hat doch geregnet. Gut, Freiheit muss nicht immer was mit Geld zu tun haben, aber in meinem Fall würde es meine und die Freiheit meiner ganzen Familie erleichtern. Ja klar, schreiben kann ich auch zu Hause, wenn ich Zeit habe. Aber ich will viel schreiben, so viel wie möglich. Ich komme nicht nach, mein Hirn rattert, die Ideen werden immer mehr, es nimmt derzeit kein Ende. Meine Freiheit heißt Schreiben, Schreiben, Schreiben. Mein Sohn und meine Frau machen mich glücklicher, aber um langzeitig befriedigt zu sein, muss ich Romane bringen. Aber jetzt reicht es für heute, nicht wahr. Ich lass euch in Ruhe, trinke meinen Einshlaftee und lese noch etwas. Bis die Tage, euer Weltschriftsteller H Taube   !

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