Schreib genau so, wie es für dich am leichtesten ist. Dieses ganze Verstellen deines Wesens, wie du es schon im Alltäglichen veranstaltest, brauchst du in der Kunst nicht. In der Kunst solltest du dich völlig frei fühlen. Keine Vorschriften. Keine Kompromisse. Wenn du Fotze meinst, schreib Fotze. Wenn sie in deinem Bilde eine Schlampe ist, ist sie eben eine. Wenn er seine gelbverfärbten Zähne des Abends in der Fresse lässt, weil ihn das Glas, das ihm seine Frau jeden Abend auf den Nachtisch stellt, nicht interessiert, dann füll seine Fresse noch hinzu mit einem bestialischen abgestandenen Schaschlickgestank aus. Schreib, wie ekelerregend sie ihn findet, wie sie jede Nacht davon träumt, ihn zu erstechen. Sei frei, wenn du Kunst machst. Lass die ganze Scheiße, die dir dein Hirn zermartert, raus, bevor sie dich dahinrafft, denn das macht das Alter eh früh genug. Guck dich an, du dreckiger geiler Stinker. Du bist über fünfzig, wiegst 118 Kilo, kriegst kaum noch deine Schuhe zu, die Gelenke ziepen, du weißt, wenn du jetzt nicht anfängst, was für dich zu tun, dann kommt der Klabaster. Mach dich frei von dem ganzen Fett und Speck. Hör auf alles in dich reinzufressen wie eine ausgehungerte Sau. Hör endlich auf, den jungen Dingern hinterherzugeifern, dein ausgedünnter Sabber ekelt sie an. Und lass endlich alles raus, was dich so fertig macht. Oder auch das, was dich amüsiert. Teil es. Aber bitteschön NUR in der Kunst. Mit deiner Traurigkeit geh besser sparsam um. Es reicht, wenn du allein damit umgehst. Dir kann jemand die Hand reichen, dich rausziehen aus dem Sumpf, ja, meinetwegen, aber den Weg weitergehen musst du allein. Und wenn du nur den ganzen Tag heulst, wird es bald keine Hand mehr geben, nicht einmal mehr für einen Handschlag wird es reichen. Deine „Freunde“ werden über dich reden, aber nicht mehr „mit“ dir reden. Pass auf dich auf, alter Junge. Guck dich im Spiegel an, sag, ja, das ist die Wahrheit! Das bin ich! Ich könnte ihr Vater sein! Oder ihr Großvater! Du bist über siebzig, sie ist Mitte dreißig. Aber mit Kohle hat das natürlich rein gar nichts zu tun. Nee, natürlich nicht. Auch nicht damit, dass du berühmt bist.
Und du, du Lump, würdest es doch genauso machen. Oder etwa nicht? Nein, natürlich nicht. Spinner. Endlich kannst du wieder spinnen, endlich, endlich, endlich. Komm, noch ein paar Schritte, dann bist du frei. Die Medis wirken. Latent depressiv. Also immer, wenn du sie nicht hast. Stopf sie in dich rein. Lass sie wirken. Dazu ein Glas Wein, oder mehrere, und eine Zigarre. Kaffee. Kaffee sowieso. Den ganzen Tag Kaffee.
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Da ist es wieder das Gefühl – dass du es schaffen kannst. Das Gefühl, dass du ein Autor bist. Zumindest ein Autor – zum Schriftsteller reicht es noch nicht ganz. Du fühlst dich wieder gut, nicht mehr depressiv, die Hoffnung ist zurück. Du freust dich auf zu Hause, auf dein Schreibzimmer, darauf, an deinem neuen Roman weiterzuarbeiten. Noch einmal von vorn zu beginnen – anders, freier, hoffnungsvoller auf ein gutes Ergebnis. Ich kann euch nur den Tipp geben, ab und zu im Leben einen Cut zu machen. Manchmal reicht schon ein Besäufnis, ein Joint bei dem einen oder anderen, ein paar Tage ein Tapetenwechsel. Nimm dir dies zu Herzen: Wenn du mit deinen Gedanken in einem Tunnel bist, ändere die Richtung, dreh um, such den Notausgang. Was ich damit meine, ist, wechsele den Raum, geh raus, verändere die Perspektive, manchmal reicht das schon für eine kleine Weile. Und eine kleine Weil kann riesig sein. Friss dich nicht auf. Ein neuer Tag kann ein neuer Anfang sein. Meistens ist eine Depression nicht chronisch, das, was du aber in jedem Fall brauchst, ist Geduld. In den meisten Fällen vergeht sie nicht so schnell, wie bei mir bei diesem Mal. Ich habe das große Glück, gerade hier sein zu dürfen. Ein paar Tage raus aus dem Sumpf, ich lege einen Deckel drüber, oder pack die ganzen beschissenen Gedanken in eine rote Kiste und werfe sie über Bord. Lass sie wegtreiben. Schaue ihr hinterher. Fest verschnürt ist sie. Ein Glück, wenn sie versinkt.