Ihr baut mich auf

Mir geht es besser. Also sagen wir, so einigermaßen gut. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich zum letzten Mal auf meiner Terrasse gschrieben habe. Bei einem Glas Wein und Zigaretten. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich zum letzten Mal ins Fließen geraten bin. Während des Schreibens. Nun gut. Heute Abend (es ist 21 Uhr 23) sitze ich jedenfalls auf meiner Terrasse, trinke Wein, rauche Zigaretten, und schreibe diese Zeilen. Die Grillen zirpen. Es ist warm. Wundervoll. Wem geht es eigentlich seelisch so richtig gut? Wer hat keine Macke? Wahrscheinlich geht es denjenigen gut, die von ihren Macken nichts wissen. Die gar nicht erst darüber nachdenken, ob sie eine Macke haben könnten. Wahscheinlich geht es denjenigen besser als mir, die in den Tag hineinleben können, ohne dass sie sich langweilen. Lagweile auf Dauer ist schrecklich. Die Tage ziehen trotzdem vorüber. Für den einen ziehen sie langsam vorbei, für den anderen vergehen sie wie im Flug. Dabei vergeht jeder Tag gleich langsam, oder eben gleich schnell. Es liegt nicht in unserer Macht, die Zeit zu verändern. Natürlich aber können wir uns ändern – jeden Tag. Und wir verändern jeden Tag die ganze Welt. Jeden Tag lernen wir etwas dazu. Bis zum Tod lernen wir. Jeden Tag ändert sich alles, auch wenn vieles gleich scheint. Jeden Tag sehen die Wolken anders aus. Der Sonnenaufgang. Der Sonnenuntergang. Auch unser Aussehen verändert sich mit jedem Tag. Jede Sekunde entstehen neue Gedanken. Nach jedem Augenaufschlag sehen wir neu. — Der Wein mundet. Die Kippe kickt. Wahrscheinlich werde ich nun so lange rauchen, bis ich nicht mehr rauchen kann. Bis ich Blut kotze. Oder länger. Wir wissen nicht was kommt. Klar, du kannst dir die Karten legen lassen. Du kannst dir aus der Hand lesen lassen. Trotzdem kommt alles ganz anders als man denkt. Ich glaube, gut fährst du damit, wenn dir klar ist, dass du jeden Tag sterben kannst. Überrascht über den eigenen Tod bist du dann wohl kaum. Jedoch bist du sicherlich überrascht, wenn jemand aus deinem Kreis plötzlich die Löffel abgibt. Die Sekunde des Todes ist nicht vorhersehbar. Jedenfalls nicht für die Außenstehenden. — Im Übrigen lese ich ab und zu wieder – was für ein Geschenk! Es ist nicht viel, und doch ist es so viel wert. Und auch dass ich in diesen Minuten schreiben kann, erfüllt mich mit Freude. Schreiben gleicht mich aus. Schreiben beruhigt mein Gemüt. Ich will mich nicht mehr beschweren. Mein Leben ist lebenswert – so wie es ist. Und bei wem denn sollte ich mich beschweren? Bei Gott? Bei den Politikern? Bei den Verlagen, die mich nicht drucken wollen? Bei meiner Mutter? Keine Ahnung. Ich grinse vor mich hin. Den Druck, den ich Jahrzente lang verspürte, habe ich mir allein gemacht. Ja, ich wollte berühmt und reich werden. Um allen, die mich kennen, zu beweisen, dass man es schaffen kann. Das es jeder schaffen kann. Selbst habe ich mir die Freude über meine kleinen Erfolge genommen. Natürlich wäre es toll gewesen, wenn ich mein Hobby zum Beruf hätte machen können. Der Einzige, der mich am Schreiben hindert, bin ich selbst. Ich stehe mir selbst im Weg. Was mir zurzeit gut gelingt, ist im Hier und Jetzt zu leben. Ich bin wach. Bin konzentriert. Bin zufrieden. Nicht immer natürlich. Nichts bleibt ewig. Und jetzt bin ich ziemlich müde. Gar nicht mehr wach.

Noch ein Schluck Wein. Noch eine letzte Zigarette am heutigen Abend.

Vielen lieben Dank, dass ihr mir das Gefühl gebt, gelesen zu werden. Ehrlich, das baut mich auf. Ihr baut mich auf.

Gute Nacht

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