Ich bin nicht Hemingway

Guten Morgen am Sonntag um 6 Uhr 35.

Ich komme nicht mehr ins Fließen. Die Fantasie ist dahin. Und nicht nur das. Auch das Überarbeiten von alten Manuskripten fällt mir unglaublich schwer. „Jetzt fühlen Sie sich wahrscheinlich wie Millionen von anderen Menschen.“ Das sagte mein Therapeut. Ja, leider. Niemals wollte ich so sein wie alle anderen. Doch die Verrücktheit ist mehr oder weniger auf der Strecke geblieben. Könnte ich, würde ich abschließen mit dem Schreiben. Doch werde ich gezwungen mich an meinen Schreibtisch zu setzen. Von irgendwelchen unsichtbaren Mächten. Mich hat das ungute Gefühl beschlichen, dass da nicht mehr viel kommt. Zum großen Glück bereitet es mir wieder Freude, einige Seiten am Tag zu lesen. Allerdings könnte ich auch Tag und Nacht schlafen. Ständig bin ich ausgelaugt bis müde.

Guten Abend am Montag um 22 Uhr 41.

Disziplin. Ich gebe nicht auf. Jeden Tag zieht es mich zu meinem Schreibtisch hin. Ich brauche mehr Struktur. Könnte ich auf alle Jobs der Welt verzichten, und wäre mein Kopf frei von Sorgen und Pflichten, könnte ich allein vom Schreiben leben, könnte ich mich Schriftsteller nennen. Mein Wunsch, den ich mir alsbald erfüllen werde, ist, jeden Tag zwei bis drei Stunden Sätze zu bilden. Worte aneinanderzureihen. Dazu braucht es eben einen strukturierten und klaren Tagesablauf.

Wartet ab. Der Roman BLOCK ist nicht vom Tisch. Und wenn ich noch weitere fünf Jahre daran arbeite. Die Themen sind zeitgemäß. Leider hat die Magie des Schreibens an genau diesem Buch an Kraft verloren. Gerade weil ich zu viel über den Inhalt gesprochen habe. Mag sein, dass ich zu abergläubisch bin. Mag sein, dass auch BLOCK von keinem Verlag veröffentlicht wird. Mag sein, dass meine Skripte meinen Tod überdauern. Scheißegal – es geht um den Prozess. Es geht darum, dass man im Leben gute Gefühle mit sich herumträgt. Und gut fühle ich mich immer, wenn ich mich wie ein Schriftsteller fühle. Vielleicht trinke ich in den nächsten Tagen wieder einmal ein Glas Wein während des Schreibens. Zur Überprüfung. Zur Beobachtung. Als Selbsttest. Ich halte euch auf dem Laufenden. Bemerke ich, dass ich ins Fließen gerate, trinke ich eben. Es kann allen scheißegal sein, wann und wo und wieviel ich trinke. Solange ich meine, mein Leben geregelt zu kriegen, kann es allen anderen am Arsch vorbeigehen. Sagen wir lieber, solange meine Frau mich nicht ermahnt, weniger zu trinken, weil vieles auf der Strecke bleibt, trinke ich weiter. Warum denn bitte schön auch nicht? Heute vor drei Wochen habe ich die letzte Flasche Bier genossen. Ich spüre keinen Saufdruck. Leider habe ich mich ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt und rumgeprahlt, bis Silvester nüchtern zu bleiben. Scheiß drauf. Ich bin Schriftsteller. Ich brauche Inspiration. Tee. Immerzu nur beschissenen Tee. Saft. Limo. Wasser. Wozu? Kiffen bringt mir gar nichts für den Schreibprozess. Manch einer pocht darauf, dass Cannabis eine leichte Droge sei. Wenn man sie gut verträgt, wohl schon. Wenn man mit ihr umgehen kann, wohl schon. Man spürt kaum Entzugssymptome. Mich jedenfalls macht Cannabis psychisch ganz schnell abhängig. Also kann ich genauso gut behaupten, Hasch und Gras sind sehr harte Dogen. Ich bin davon überzeugt, mit Alkohol umgehen zu können. Ich nutze ihn. Ich gebrauche ihn. Ich missbrauche ihn nicht. Egal, was andere behaupten. Dann lasse ich mich eben als Säufer beschimpfen. Eines habe ich in den letzten Wochen gelernt: Dies hier ist mein Leben. Ich kann damit anstellen, was ich will. Natürlich nehme ich Rücksicht auf meine Familie. Ich bin nicht Hemingway!

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