Hab meinen Schreibtisch gefunden!

Freitag, 15.11.19, 6 Uhr

Ich kneife. Wollte eben an S.S. arbeiten, kann mich aber nicht aufraffen. Um im Fluss schreiben zu können, brauche ich einen geeigneten Platz. Mir schwebt der „Hafven“ in der Nordstadt vor, heut fahr ich hin und schau mir alles an. Vielleicht inspiriert und motiviert es mich ja, mit andern „Arbeitern“ in einem großen Raum zu sitzen, alle in ihre Notebooks vertieft, jeder in seiner Welt. Ich weiß es nicht. Der Weg bis in die Nordstadt ist nicht von der Hand zu weisen, dann wahrscheinlich noch die Zigarre – zwei Stunden futsch. Aber hier zu Hause kriege ich derzeit nichts zustande. Dann doch lieber zwei Stunden intensives Schreiben – Hemingway hat ja wie bekannt nur 500 Wörter, also ungefähr ein bis zwei Seiten, am Tag zu Werke gebracht. Würde reichen, mehr als 200 Seiten sollte der Umfang am Ende sowieso nicht umfassen. Es kommt auf die Atmosphäre im Hafven an, wo alles ganz modern sein soll. Wahrscheinlich würde ich auch interessante Menschen kennenlernen.

Ich merke, ich werde immer unzufriedener, denn schon längere Zeit hab ich nicht an einem Buch gearbeitet. Und was mir noch Bedenken macht, ist, ob am Ende überhaupt ein ganzes Buch aus meinen Ideen entsteht. Reichen die Ideen aus? Werden es 200 Seiten? Du kannst ja auch keine Platte mit nur fünf Stücken rausbringen, kannst du schon, aber ein ganzes Konzert veranstaltest du damit nicht, höchstens einen kleinen Gig. Wenn ihr also dranbleibt, werdet ihr lesen, wie es in den nächsten Monaten vorangeht – oder eben auch nicht. Und wo. Oder doch in meiner „Schreibbar“, in der ich mich Tag und Nacht aufhalten kann?  Ich denke, ich könnte auch in einem Kellerbüro in der List schreiben, ich müsste fragen, aber so richtig schön ist es da nicht. Es heißt ja, der Schriftsteller ist oft einsam, muss einsam sein. Bei mir hat sich da einiges in den letzten Jahren verändert. Klar, wenn ich schreibe und angesprochen werde, bin ich draußen. Muss ich mich auch noch unterhalten oder Fragen beantworten, ist der Fluss unterbrochen. Mein erstes Buch, das damals noch „Illusion eines Träumers“ hieß, habe ich zum größten Teil im Rolling Stones-Café in Linden per Hand geschrieben. 16 Uhr, nach der Arbeit, bei gedrehten Zigaretten und Kaffee, es war wirklich ganz wundervoll. Setz dich heut mal mit ner Zigarre in ein Café … Ha, ha. Ich habe mich ja fast damit abgefunden, nicht schreiben und zeitgleich rauchen zu können. Außer eben in der Schreibbar. Und in der schönen Zigarrenlounge in Burgwedel, wäre aber 50 Minuten erstmal unterwegs. Bin so hin und hergerissen. Dostojewski hat über Jahre in einem Verließ geschrieben. Viele Texte und auch ganze Bücher sind in Knästen verfasst worden. Ich habe einfach zu viele Möglichkeiten, der freie Autor ist viel zu verwöhnt. Doch nach einer Gartenlaube umsehen? Aber ich weiß so viel, dass ich, um das Ding zu Ende zu bringen, raus muss, dorthin, wo ich nur mit meinem Laptop bin. Ich bin sehr gespannt auf den Hafven. Ich sag euch, was am Genialsten wäre: Ein Raucherzimmer im Hotel. Kann ne Kaschemme sein. Egal. Allerdings ist es auch schön, sich selbst (eben doch eine alte Gartenlaube) nach seinem Geschmack einzurichten. Das sind alles Luxusprobleme, ich weiß. Flüchtlinge leben zu viert auf zehn Quadrat, oder noch enger, in einem Zelt. Ich bin mit zu viel Luxus aufgewachsen, konnte meistens in Saus und Braus leben. Tu ich immer noch. Armer Poet … HA! Man weiß es aber nicht, die Zeit steht nicht still, die Zukunft ist unvorhersehbar. Ein Unfall. Eine Krankheit. Irgendein Schicksalsschlag. Armer Poet. Der schreibt, weil er nichts anders kann, er schreibt, weil er sich ablenken muss, sonst würde er die wahnsinnige Kälte, die stinkende Nässe und den üblen Hunger schmecken, riechen und fühlen. Und die Einsamkeit, die er aber braucht, sonst würde er ganz armselige Sachen schreiben. Es kommt drauf an, wo du bist. Schreibst du in einem warmen Großraumbüro auf bequemen Stühlen, schreibst du anders als in einer alten Laube, wo du den Ofen anfeuerst, damit du deine Finger in Schwung bringen kannst. Ich habs im Gefühl – ein eigenes kleines Häuschen wäre das richtige. Ich werde also wohl die Gartenarbeit in Kauf nehmen müssen. Der Weg dürfte auch nicht weit sein, vielleicht hab ich ja Glück. Ein Wohnwagen, der irgendwo steht, wäre auch ziemlich cool. Ofen rein und gut. Ach ja. Nett, dass ihr das hier lest und euch mit mir gemeinsam Gedanken macht. Vielleicht kennt ja einer von euch wen, der wieder wen kennt, der einen Garten hat usw. Das Leben ist spannend – ich liebe es. Ich liebe es, mir über so etwas Gedanken zu machen, mir was auszumalen, mir was vorzustellen, und zu träumen vom Optimum. Ob es das wirklich am Ende ist? Vielleicht doch nicht. Dann ist man wieder nicht zufrieden. Wie Menschen, die immer alles größer und größer wollen. Aber bevor ich mir eine Schreibwohnung miete, miete ich einen Schrebergarten.  So, jetzt ist es sieben, ich muss zur Arbeit. Ein Job, den ich gern mach, auf den ich aber zeitlich gesehen auch gut und gern verzichten könnte.

Samstag, 16.11.19, gleich 24 Uhr

Habe in der Schreibbar geschrieben, zwei Stunden Power. Freitagfrüh, also gestern nach der Arbeit. Hab mir endlich gesagt, scheißegal, wo du schreibst, Hauptsache du tust es. Zieh das Ding durch, gib dir drei Monate für den ersten Entwurf. Vielleicht werden es sechs. Egal – aber schreib. Nimm so wenig Rücksicht wie möglich. Sei für diese Monate egoistischer als sonst. Denk an das Buch. Genau jetzt ist die richtige Zeit, nutz sie aus. Verpack das Gewissen und schmeiß es in den Abfalleimer, man wird es dir am Ende verzeihen. Du hast nun mal das riesige Glück, deine Gedanken in Bilder verzaubern zu können. Nutz es, sei nicht blöd. Es gibt genug Idioten, die ihre Gaben vernachlässigen, weil sie zu gute Menschen sind. Würden sie der Menschheit nicht vielleicht durch ihre Kunst eine riesige Freude bereiten? Schließ dich ein paar Monate ein, dann kommst du raus, völlig fertig, wie besoffen, alle sind erschüttert, weil du dermaßen verkommen aussiehst – aber hey – egal, dein Herz strahlt. Und vielleicht bringst du andere Herzen auch zum Strahlen. Darauf kommt es doch im Leben an: Dass du dich freust, und dass sich deine Mitmenschen über dich freuen. Das macht Sinn. Schenk ihnen was von deiner Kunst, behalt sie nicht für dich, vor allem nicht in dir, raus damit, raus. Wandele sie um. Sei nicht geizig, sei nicht egoistisch in diesem Sinne. Wenn du nur ein paar Menschen erreichst, die sich mit dir über dieselbe Sache freuen, bist du ein Gewinner. Sie danken es dir. So ist es in der Musik. So ist es in jeder Kunst. So ist es im Leben. Bring am Abend ein paar Leute zum Lachen, oder am Morgen zum Lächeln – du bist ein Gewinner. Sei freundlich zu dir und deinen Mitmenschen. Vergessen wirs für heute. Ich geh schlafen. Bin platt. Gute Nacht.

Sonntag, 24.11.19, 18 Uhr

Ich habs! Schreibe seit ein paar Tagen am Buch. Und zwar in der Zigarrenlounge in Springe im Familienbetrieb Kiehne. Hab dort jetzt eine Tischerhöhung deponiert, ne gute Zigarre entdeckt, die ich mir leisten kann und an der ich anderthalb Stunden dran rumpaffe. Drei Monate, ich glaub, das ist für den ersten Entwurf zu schaffen. Ihr seid dabei. Danke dafür.

Bis bald

 

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