Wenn ich anfange zu schreiben habe ich keine Ahnung vom nächsten Satz. Erst nach dem Punkt weiß ich wie es weitergeht. Meistens sofort. Manchmal muss ich aber auch überlegen. Gerade jetzt, beim Umschreiben des Buchs „Im Wahn der Zeichen“, sitze ich minutenlang über einzelnen Sätzen. Ein gutes Zeichen. Nichts auf die leichter Schulter nehmen. Ich habe das Buch schon zehnmal überarbeitet, jetzt schreibe ich es noch einmal komplett neu. Es bereitet mir riesige Freude daran zu arbeiten. Mir fällt auf, wie miserabel vieles geschrieben ist. Viel zu viel, viel zu lang, so viel unwichtiger Kram. Aus heutiger Sicht natürlich nur. Damals, als ich es so verfasst habe wie es jetzt ist, war mir jedes Wort wichtig. Ich hätte mir auch kaum reinreden lassen, ich war total überzeugt von meinem Können. Abstand tut gut. Wirklich. Ich merke als Autor, wie schwer es ist, objektiv an das eigene Werk ranzugehen. Die Besten mögen das können, die Besten mögen sich nichts sagen lassen, ich zähle auf die Meinung meiner Freunde, meiner Leser. Ich habe viele Ideen, der Schreibstoff scheint mir in den nächsten Jahre nicht auszugehen, aber ich will ja auch Großes erschaffen, ich will als Autor von meiner Kunst leben können. Ich weiß, das wollen Hunderttausende, nicht viele können es. Journalisten schon eher, Romanschreiber selten. Aber die Chance ist da, sie ist immer da, ich fühle sie fast täglich, sie läuft vor mir her, ich muss sie nur noch einholen, es ist knapp. Es wird Zeit. Ich werde nun doch wieder einige Verlage anschreiben, auch die großen, was hab ich zu verlieren. Ist doch egal, ob von einem großen oder einem kleinen Verlag eine Absage kommt. Früher habe ich es so gehandhabt, dass ich mich für jede Absage infrage gestellt habe, ich sagte mir, dann bist du eben noch nicht gut genug, mach weiter, aufgeben tust du nie. Ich habe oft dieselben Verlage mit den überarbeiteten Skripts angeschrieben, das sollte man lassen, einmal eine Absage, immer eine Absage. Mir schweben Verlage vor, die mich noch nicht kennen. Egal ob klein oder groß, wirklich, ich werde gucken zu welchen Verlegern meine Sachen passen könnten. Aber ich weiß auch, dass der ganz große Wurf noch nicht dabei ist. „Die Weisheit der Welt“ könnte so einer werden. Könnte, könnte, könnte. Es wird schwierig werden, aus hundert Seiten Reimen, nur Dialoge, eine Erzählung zu machen. Wenn mir das gelingt, wird alles gut. Manchmal weiß man Dinge, ohne zu wissen, wo das Wissen herkommt. Ist tatsächlich so. Man glaubt und hofft und glaubt zu wissen. Glaube ich an Gott? An die Göttlichkeit schon. An die Liebe brauche ich nicht zu glauben, von ihr weiß ich, dass es sie gibt. Ich glaube an die Schönheit des Lebens. Ich glaube an die Ewigkeit. Ich glaube an die Wiedergeburt. An einen Gott im Himmel? Kann ich nicht sagen, wirklich nicht. Jeder moderne Christ sagt, Gott sitzt da oben nicht in den Wolken. Tja. Vielleicht. Wer weiß. Klar, in oder auf Wolken kann keiner sitzen, bin ja nicht bescheuert. Oder doch? Könnte sein. Intersssiert mich aber auch nicht weiter, ich kann nur das bringen, was ich bringen kann, natürlich versuche ich immer besser zu werden. In allem. Also ist es mir doch nicht egal. Man kann ja vielleicht etwas gegen seine Bescheuertheit tun, dazu muss man aber erst einmal einsehen, dass man so was von saubescheuert ist. Ist man doch. Ich bin zum Beispiel so bescheuert … ach, lassen wir das. Schade? Fragt euch lieber selbst, was an euch bescheuert ist, bestimmt findet ihr ein paar Antworten. Wenn nicht, will ich lieber nichts mit euch zu tun haben. Jeder sollte ein paar Macken von sich kennen, da ist nichts bei. Ich spreche hier von seelischen Macken. Körperliche hat sowieso jeder, es geht stetig bergab. Von Geburt an. Der Tod erwischt jeden, früher oder später, na ja, dann lieber später, aber nicht zu spät, muss noch alles einigermaßen in Form sein. Kann man sich natürlich nicht aussuchen, ist mir klar. Es sei denn, man bringt sich um. Davor hätte ich Bammel. Ich bin so n Typ, der glaubt, dann gibt’s ne Strafe. Kann sein, dass ich das ganz anders sehe, wenn ich nicht mehr krauchen kann und mich einscheiße-und-kotze. Ja, ich bin Christ, morden und selbstmorden ist tabu. Sag ich jetzt. Ist so leicht dahergeschwafelt. Amputiert man mir scheibchenweise die Beine, bin ich gelähmt, habe schmerzvollsten Krebs oder sonst was, ist der Tod bestimmt Erlösung. Hat nicht jeder das Recht, über sein Leben zu entscheiden? Es ist doch mein Leben, es gehört keinem sonst, nur mir. Oder etwa doch Gott? Tja, gute Frage. Ich könnte jetzt endlos weiterfragen und keine Antworten finden. In meinen Psychosen bin ich mir über alles ganz sicher. Bringst du dich um, landest du in der Hölle, ganz klar. Psychosen sind fanatisch, radikal, extrem, Himmel oder Hölle. Ganz oben oder ganz unten. Ich bin nun mal moralisch geprägt, besser, ich habe mich selbst geprägt, wurde nicht religiös erzogen. Konfirmation schon, dann Austritt aus der Kirche, Jahre später wieder Eintritt, aus freien Stücken. Kirche muss nichts mit deinem Glauben zu tun haben. Du kannst auch einen Baum volltexten und ihm das Gleiche erzählen wie einem Gott. Den Baum siehst du wenigstens, den kannst du sogar berühren, auch gegen pinkeln, wenn du magst. Stört ihn nicht, wahrscheinlich freut er sich noch. Umarm ihn und kotz dich bei ihm aus, oder eben bei deinem Psychologen. Scheiß doch drauf. Mach das Beste draus. Es ist jetzt zwölf, ich geh schlafen. Gute Nacht !