Die Bipolarität. Heute war ein guter Tag. Kein Vergleich zu dem gestrigen. Von Depression heute nichts zu spüren. Gerade sitze ich auf meiner Terrasse, genieße ein Glas Weißwein, rauche eine Zigarette und höre den Vögeln zu. Hinter mir summt eine Hummel. Sie nimmt Platz in einer leuchtenden Blüte. Ich atme. Ich lebe. Ich liebe. Ganz still ist es in mir. Ich sitze. Ich warte. Ich erwarte nicht sehr viel. Ein paar Worte würden mir reichen. Tauben gurren vom Nachbargrundstück. Meine Nachbarin winkt mir zu und verschwindet in ihrem Haus. Sie hat ihre Hühner versorgt. Ich liebe die Ruhe. Ich liebe den Tumult in Hannover-Linden. Menschen inspirieren mich am meisten. Sie bringen am meisten Leben, am meisten Schwung in meine Seele. Oh, wie herrlich die beiden Schwalben am Himmel anzuschauen sind. Als damals unser Architekt das Grundstück ausgemessen hat, ließ er den Satz fallen, hier sei die Welt noch in Ordnung. Inzwischen weiß ich, was er meint. Es ist ein wahres Geschenk hier leben zu dürfen. Doch hat es fünf Jahre gebraucht, bis ich mich in diesem neuen Kasten eingelebt habe. Seit neun Jahren wohnen wir hier, so langsam fängt auch das Haus an zu leben. Ganz mild schmeckt der Wein. Der Rauch kickt in der Lunge. Ich liebe es zu rauchen. Ich liebe es zu trinken. Ich liebe es zu essen. Du musst ja doch bald sterben. Dann verlässt du deine Hülle. Legst den ganzen Dreck ab. Ich liebe den leichten Törn, den mir der Wein schenkt. So könnte ich Satz um Satz weiterschreiben. So könnte ich die ganze Nacht genießen. Ich ziehe an der Zigarette, warte auf den nächsten Satz, blase den weißgrauen Rauch aus, und tippe. Meine Frau und mein Sohn lassen mich schreiben. Lassen mir meine Ruhe. Es wird kühler. Ich atme immer noch. Mein Herz schlägt im Takt. Warum bin ich an einem Tag so schwer depressiv und am nächsten Tag wieder fröhlich? Die Bipolarität. Sie begleitet mich nun schon seit 35 Jahren. Oder noch länger. Vor 35 Jahren wurde sie zum ersten Mal diagnostiziert. Mit schizophrenen Anteilen. Damals habe ich mich in diesen wundersamen Zustand total verliebt. In der ersten Psychose weißt du nichts über dich. Du glaubst aber alles zu wissen. Der kranke Jesus. Am kommenden Sonntag spielt Westernhagen in Hannover. TB und ich werden dabei sein. Ich bin gespannt, wie ich mich fühlen werde. Nach so vielen Jahren. Ich freue mich sehr auf den Abend. Werde ich den Alltag vergessen können für zwei oder drei Stunden? Werde ich ins Fließen und ins Glück geraten? So wie früher? Werde ich frei sein können? Es wird immer frischer hier draußen. Und ich werde immer müder und müder. Deswegen mache ich für heute Schluss. Gute Nacht.
