Liebe Leserinnen und Leser,
wieder liegt ein ganzer Tag vor uns – und zack – bricht schon wieder der Abend herein. Die Sonne scheint, und doch ist es ziemlich frisch. Genießt den Tag, wenn möglich. Schreibt heute Abend auf, was besonders schön gewesen ist. Habt ihr eine Familie, dann sprecht beim Abendbrot darüber, was der Tag Gutes gebracht hat. Lasst alles weg, was weniger schön war. Wenn ich abends oder in der Nacht schlafen gehe, freue ich mich schon aufs Aufstehen. Das liegt natürlich daran, dass ich das Glück habe, nicht einem Beruf nachkommen zu müssen, der mir nicht gefällt. Um sechs Uhr morgens stehe ich meistens ausgeruht und voller guter Laune auf. Jedenfalls dann, wenn ich nicht gerade in einer Depression feststecke. Jedoch könnt ihr euch beruhigen: Nach einer Tiefphase geht es irgendwann wieder bergauf. Nur in seltenen Fällen ist oder wird eine Depression chronisch. Und eine Manie kann meiner Meinung nach nicht dauerhaft anhalten, aus dem einfachen Grund, weil Körper, Geist und Seele das nicht aushalten. Schwer ist es selbstverständlich, darauf mit der Leere umzugehen. Seid vorsichtig, die meistens Suizidversuche passieren im so genannten „Mischzustand“. Wenn du eine kurze Zeit manisch bist und dann plötzlich wieder ganz traurig. Das sind Spannungen, die der „Gesunde“ nicht kennt. Jedenfalls nicht in so extremer Form. Deswegen ist es nicht so leicht als „Normalo“ nachzuvollziehen, wie es uns in einer manisch-depressiven Phase geht. Eine Manie kann über mehrere Wochen anhalten, oder sich alle paar Minuten zum Depressiven wenden. Immer wieder hin- und her. Nutzt die Zeit dazwischen, um euch auszuruhen, um klarzukommen. Klar, in einer Manie glaubst du natürlich, der klarste Mensch überhaupt zu sein. Du hast den Durchblick. Alle anderen spinnen, sind blind, raffen gar nichts. Verstehen nicht, dass du der Auserwählte bist. Medikamente sind oftmals vonnöten. Da führt, gerade in einer akuten Phase, kein Weg dran vorbei. Inzwischen gibt es allerdings auch Einrichtungen, in denen man seine Psychose ausleben darf. Ohne Medikamente. So ein Haus würde ich mir gern einmal anschauen. Am besten aber in einer sehr stabilen Phase. Zurzeit fühle ich mich (mal wieder) relativ stabil. Das extreme „Briefeschreiben“ hat aufgehört, ich spiele sogar mit dem Gedanken, mich bald wieder an einen Roman zu wagen. Aber erst einmal sind einige Kurzgeschichten zu überarbeiten – über hundert an der Zahl. Ich kann den Angehörigen und auch den Betroffenen noch den Tipp mitgeben, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Oder selbst eine zu gründen, was nicht viel Aufwand bedarf. Zweimal im Monat sich mit Gleichgesinnten zu treffen (am besten nicht zu Hause) ist kein Hexenwerk. Ihr werdet sehen, dass das Interesse nicht gering ist. Viele psychisch kranke Menschen haben das Problem, dass sie sich keinesfalls outen wollen. Meiner Meinung nach ist das falsch. Gesunden kannst du nur, wenn du deine Krankheit annimmst, sie einsiehst und darüber sprichst. Bau Vertrauen zu einem Therapeuten oder einer Therapeutin auf. Sei nicht so stur – Betroffener. Sei nicht so stur – Angehöriger. Holt euch Hilfe. Haltet ihr die Manie, die Psychose, die Depression eures Liebsten nicht mehr aus, ruft den psychiatrischen Notdienst an, den es fast in jeder Stadt mindestens einmal gibt. Tut es, bevor ein Unglück geschieht. Dann kann ich euch noch den Rat geben, dass ihr Angehörigen versuchen solltet, mit etwas Ironie ans Werk zu gehen. Sagt der Psychose-Erkrankte, er sei nun mal auserkoren, die Welt zu retten, antwortet: „Das ist ja toll. Wie machst du das denn? Kann ich dir helfen? Verrat mir deinen Plan.“ Werdet nicht laut. Schreit nicht rum. Denn sonst ist sofort das Vertrauen total gebrochen. Maniker sind Schauspieler. Sie halten sich zurück, sprechen wenig, wenn es drauf ankommt, in ihren Köpfen aber geht die Reise unaufhörlich weiter. Als Maniker kriegst du jeden Bänker soweit, dass er dir ohne mit der Wimper zu zucken einen Kredit gibt. Ich bin neulich bei der Volksbank gewesen und die Angestellte sagte mir, ich könne sofort ein Darlehen über 42.000 Euro bekommen. Gar nicht schlecht, dachte ich im ersten Moment. Ich kenne jemanden, der sich einen Porsche bestellt hat. Ich kenne etliche Betroffene, die heute pleite sind. Ich selbst habe auch immer wieder hohe Schulden gemacht.
So, ich habe noch einiges zu erledigen. Wenn ihr Fragen oder Anregungen habt, meldet euch. Ich freue mich.
Liebe Grüße
Henning