Kein Druck mehr

Der Druck ist nicht mehr da, der Druck, meine Familie von der Schreiberei ernähren zu müssen. Muss ich nämlich nicht. Wir kommen auch ohne ein erfolgreiches Buch um die Runden. Ich habe das Gefühl, dass ich nach fünfunddreißig Jahren des Schreibens nun zur inneren Ruhe gefunden habe. Fünfunddreißig Jahre Druck und Zwang. Natürlich zieht es mich nach wie vor jeden Morgen zu meinem Schreibtisch hin. Dann schreibe ich ein, zwei Sätze und schalte den Computer wieder aus. Dass was ich der Welt zu sagen habe, ist längst verfasst. Und wenn ich heute die Blogbeiträge von vor sieben oder acht Jahre lese, frage ich mich, ob es wirklich Menschen gibt, die daran Interesse hatten. Ein paar Leserinnen und Leser sind von Anfang an dabei. Vielen Dank dafür. Ich hatte den Plan, die Beiträge in ein Buch umzuwandeln. Doch merke ich, dass es großer Schwachsinn ist, sie zu überarbeiten, denn so verlieren sie an Wahrheit. So wie sie stehen, sollen sie stehenbleiben. Derzeit glaube ich, dass ich nie wieder einen fiktiven Roman schreiben kann. Nicht einmal eine gute Kurzgeschichte. Und trotzdem finde ich mein Leben völlig in Ordnung. Ich erledige Dinge, die seit Jahren liegengeblieben sind. Mein Haus nimmt immer mehr Gestalt an. Der Garten ist für den Winter vorbereitet, das Holz für den Kaminofen sauber gestapelt. So langsam bekomme ich Struktur in mein Leben. Das neue Antidepressivum scheint ein Wundermittel zu sein. Ich lasse nicht mehr achtlos meinen ganzen Kram überall rumliegen. Es scheint sich eine gesunde Ordnung in mir zu manifestieren. Zwischen vier und fünf Uhr stehe ich auf, setze mich an meinen Schreibtisch und warte ein paar Minuten auf Worte. Merke ich nach zehn Minuten, dass da keine Worte kommen, mache ich mir einen Plan, was ich alles tun kann und gehe in die Aktivität. Gestern zum Beispiel habe ich von 5.00 Uhr bis 7.30 Uhr das Carport auf Vordermann gebracht. So ordentlich und sauber ist es noch nie gewesen. Heute werde ich ab 8.00 Uhr weiter das Brennholz stapeln. Das Kinderzimmer meines Sohnes wandeln wir gerade in ein Jugendzimmer um. Allen bringt es Spaß. Es wäre mir eine riesige Freude, das ganze Haus, jedes Zimmer, jede Ecke, jeden Winkel genau so herzurichten, dass wir uns überall wohlfühlen. Dazu sind viele viele Kleinigkeiten zu erledigen.

Ich bin zu einem Interview in die in die Schweiz eingeladen. Am Mittwoch fahre ich für vier Nächte nach Thun. Nun scheint endlich ein großer Traum in Erfüllung gehen zu können. Aber ob ich der Welt wirklich noch was zu sagen habe, kann ich nicht voraussagen. Ich habe keine Ahnung, wie das Gespräch verlaufen wird. Kann ich mich gut genug ausdrücken? In welche Richtung wird es gehen? Werde ich genug Zeit und Raum für meine Ideen, Pläne und Visionen bekommen? Habe ich überhaupt noch Visionen? Auf jeden Fall freue ich mich sehr über diese Einladung.

Macht euch eine schöne Woche.

Henning

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