Heute, der Sonntag, ist wirklich der erste richtig gute Tag seit einigen Wochen gewesen. Keine Spur einer depressiven Verstimmung. Also bin ich frohen Mutes auf die folgenden Tage. Letzte Nacht, nachdem ich schon einige Stunden im Bett gelegen habe, ist etwas geschehen. Ich kann nicht sagen, was mich aus dem Loch herausgerissen hat, doch vielleicht war es die Reportage über Udo Lindenberg, die ich mir reingezogen habe. Sie hat mir Mut gemacht, weiterzumachen. Udo hat nie daran gezweifelt, eines Tages ein Pop- bzw. Rockstar zu sein. Schon in ganz jungen Jahren hat er es vermutet, geahnt, gar gewusst. Manchmal weiß man Dinge. Woher, weiß man allerdings meistens nicht. Wissen ist Wissen. Wissen ist Magie. Mir hat der Film sehr gut gefallen, er lohnt sich für jeden Udo-Liebhaber. In meiner Jugend habe ich ihn oft gehört. Und viele seiner bildhaften Texte haben mich berührt. Auch als er ganz weit unten war, den Alkoholtran geradeso überlebt hat, habe ich ihn verehrt. Das war Mitte bis Ende der Neunziger. Es gab damals immer nur zwei richtige deutschsprachige Stars für mich: Udo und Marius. Marius und Udo. So gerne hätte ich sie kennengelernt und mit ihnen gesprochen. Ich habe mich so sehr danach gesehnt, in ihrem Kreis aufgenommen und auch behütet zu werden. Ich dachte, das sind doch auch nur Menschen. Auch sie müssen essen, trinken, kacken, pinkeln und eines Tages die Löffel abgeben. Ich glaubte, etwas vorweisen zu können – meine Gedichte. Meine Bücher. Ich glaubte, der Welt was zu sagen zu haben und habe sie um Hilfe gebeten. Vergeblich natürlich. Ich habe keine Ahnung, wie viele verrückte Briefe und Dinge sie in ihrem Leben zugeschickt bekamen, oder heute noch bekommen. Es hat mich hart getroffen, keine Antwort erhalten zu haben. So bildete ich mir ein, Marius habe mir durch einige seiner Lieder Botschaften zukommen lassen. Ehrlich gesagt, auch wenn es sich verrückt und eingebildet anhört, glaube ich dies heute noch immer. Ich glaube, dass er einiges über mich weiß. Wovon ich mir nichts kaufen kann, das ist mir klar. Durch meine Krankheit wurden mir viele schwere Steine und hohe Barrieren in den Weg gelegt und gestellt. Wenn ich nicht gerade depressiv bin, ist mein Weg heutzutage um einiges leichter und freier zu beschreiten. Ein manisches Hoch hatte ich schon ewig nicht. Die Medikamente schützen. Sie lassen mich ein gutes Leben leben. Aber woher sollen dies Marius und Udo wissen? Auch ich selbst will mit einigen psychisch kranken Menschen nie wieder etwas zu tun haben. Aus dem einfachen Grund, weil sie mir einst Angst eingejagt haben. Gerade wenn jemand akut psychotisch ist, sucht man lieber das Weite. Man hat Furcht vor der Unberechenbarkeit des Betroffenen. Ich kann es nicht ändern. Ich hatte die Chance vor zwei Jahren mit Udo zu sprechen. Leider bin ich viel zu aufgeregt gewesen, weil das alles zu spontan auf mich zukam. Tine Acke, seine Partnerin, schrieb schon einige Male öffentlich per Facebook, sie bekomme an manchen Tagen bis zu 200 Briefe, Bücher, Geschenke etc. Alle möglichen Leute hätten einen triftigen Grund, warum sie Udo unbedingt treffen müssten. Udo ist kein Guru. Udo ist nur Udo. Udo ist kein Jesus, Udo ist Genuss. Marius konnte es nicht mehr ertragen, angehimmelt zu werden. Und ja, ich habe ihn angehimmelt. Und ja, ich habe ihn gehasst. Ich habe ihn gehasst, weil ich neidisch war. Es ist so schade. Es ist so schade, weil es selbstverständlich mein Ding ist. Auch er gab mir 1990 die Gelegenheit mit ihm zu sprechen. Wir standen uns Auge in Auge gegenüber. Ich habe es damals einfach nicht gebracht. Und dann bin ich krankhaft verrückt geworden. Es gibt Minuten und Stunden, da beschäftigt mich die Vergangenheit.