Angst, Angst, Angst

Klar ist der Tag gewesen. Das Wetter ist wundervoll. Es ist 20 Uhr 15 und ich hoffe, dass mir ein paar Sätze gelingen, die interessant genug sind, um geschrieben und gelesen zu werden. Es geht mir gut – und dies nun schon seit längerer Zeit. Zumeist fühle ich mich konzentriert und ausgeruht. Dass ich kaum noch Fantasie oder gar hypomanische Hochs habe, ist zwar nicht gerade der Hammer. Aber dafür kann ich derzeit fantastisch Verantwortung für meine Familie und mich übernehmen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich in dieser festen Bahn psychotisch werden könnte. Vielmehr bin ich dabei, meinen Körper besser kennenzulernen, ihn zu spüren und konditionell etwas auf Vordermann zu bringen. Am 13.06. rauche ich die letzte Zigarette. Ich habe keine Lust mehr drauf. Niemandem muss ich etwas beweisen. Cool ist man mit Kippe in der Fresse schon seit Jahren nicht mehr. Gerade wenn du Vater oder Mutter bist, ist es ekelhaft, deinem Kind etwas vorzuqualmen. Zudem möchte ich so alt wie möglich werden. Liebend gern über neunzig. Natürlich nicht immer. Stecke ich in einer depressiven Phase, sehne ich mich fast schon danach, es möge alles schnell aufhören. Dann soll nur dieser beschissene Zustand, für den es kaum eine adäquate Beschreibung gibt, verschwinden. Meine längste depressive Phase dauerte über ein Jahr am Stück an. Jeden gottverdammten Tag habe ich darüber nachgedacht, wie ich mir das Leben nehme. Wenn du glaubst, wenn du davon überzeugt bist Gott zu sein und dann in der Psychiatrie langsam checkst, dass du nur krank bist, vergeht dir Hören und Sehen. Du stürzt vom Himmel in die tiefste Hölle. Es ist aber auch nicht gerade ein Geschenk, Gott zu sein. Das riesengroße Gefühl der Allmächtigkeit ist heftiger als so ziemlich alles, was ich bisher erlebt habe. Als Gott bist du größer als das gesamte Universum. Es scheint, als könnest du es umfassen. Es scheint, als könnest du mit dem Erdball Fangen spielen. Hinzu kommt noch die fiese Angst, die Paranoia. Weil du eben Gott bist, wollen dich selbstverständlich alle möglichen Menschen töten. Sie wollen dich ans Kreuz schlagen. Und wenn du es irgendwem erzählst, glaubt man dir nicht. Als Gott bist du allein und einsam. Du stehst über allen Menschen. Nichts geschieht mehr auf Augenhöhe. Du segnest und richtest. Du erkennst alles Böse, alles Gute, durschaust die ganze Geschichte und begreifst alle Zusammenhänge.

1990, als ich zum ersten Mal in der Klinik war, wurde ich im „Wachsaal“ untergebracht. Acht Betten standen dicht an dicht. Einige der Patienten lagen fixiert, voller Muskelkrämpfe schreiend vor Schmerz, oder schon wie tot, bewegungsunfähig, mundtot gemacht, ängstlich wie Lämmer, die geschlachtet werden sollen, dar und konnten sich nur noch einpissen. Ich wurde dermaßen mit Haldol vollgepumpt, konnte nicht mehr sprechen, nur noch sabbern und Geräusche von mir geben, die keiner verstand. Aufgeklärt, dass die Potenz während der Behandlung auf der Strecke bleibt, wurde man sowieso nicht. In der ersten Psychose deines Lebens weißt du gar nicht, was los ist. Bist du Jesus, bist du Jesus. Bist du Napoleon, Hitler, Luzifer oder sonst wer – du bist es ganz und gar. Da können hundert Psychiater auf dich einreden, du weißt es besser. Noch eine Spritze Haldol! Und noch eine! Und gegen die Nebenwirkungen ein anderes Medikament. Haldol reicht nicht? Also noch ein niederpotentes Neuroleptikum. Und natürlich Valium in Massen. Depressiv? Aber bitteschön – welche Pillen bevorzugen sie? Die roten oder die blauen? Gespräche fanden nicht statt. Jedenfalls keine therapeutischen. Und ehrlich gesagt ist es 1998 nicht wesentlich besser gewesen. Zupumpen lassen und Schnauze halten. Es hat Schlägereien, blaue Augen, blutige Lippen, gebrochene Arme und Rippen gegeben. Zwangsmedikationen, Fixierungen am laufenden Band, Angstschreie usw. Ich kann verstehen, dass so viele Betroffene Horror vor der Klinik haben. Depressive haben es da etwas leichter. Sie sind ja meistens eh ruhig – und wollen auch nur ihre Ruhe. Sie kommen höchstens für ein paar Tage auf die Geschlossene, zudem haben sie das Glück, an Gesprächen mit Therapeuten teilnehmen zu dürfen. Niemals darf ein schizophrener Mensch über einen Sinn seiner krankhaften Gedanken sprechen. Hat die Psychose in seinen Augen einen Sinn – klar, hoch mit den Medis.

Nicht alles ist schlecht an der Psychiatrie. Gäbe es sie nicht, wäre ich längst tot. Sie ist mein Flughafen, mein Landeplatz, gar mein Nest. Dennoch sollte sich eine Menge verändern. Ich wünsche euch alles erdenklich Gute auf eurem Weg. Macht am besten einen Bogen um die Psychosen. Nehmt eure scheiß Medikamente und seid dankbar, dass ihr klar seid. Oder zumindest das Gefühl habt, klar zu sein. Verzichtet aufs Kiffen, Koksen und erst recht auf LSD und den ganzen Kram. Jeder Trip könnte der letzte sein. Es gibt Patienten, die kommen nie wieder runter, sind gefangen in magischen Welten, hören dauerhaft Stimmen und haben Angst, Angst, Angst.

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